Wolfgang Behrens/Martin Else/Frauke Fitzner (Hg.)

Vom Sammeln, Klassifizieren und Interpretieren

Die zerstörte Vielfalt des Curt Sachs

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott
erschienen in: das Orchester 12/2017 , Seite 57

Jeder, den einmal die Sammelleidenschaft gepackt hat, kennt
das: die Lust am Entdecken neuer Schmuckstücke für die eigene Sammlung, den Austausch mit Gleichgesinnten, den Spaß beim Katalogisieren und nicht zuletzt die Freude an der Präsentation der eigenen Sammlung. Gleichzeitig stehen natürlich bei jedem Sammler mit der Zeit dieselben Fragen zur Beantwortung an: Wohin mit Sammelstücken? Welche Ordnung und Einordnung ist die zweckmäßigste? Welchem (höheren) Zweck soll das Sammeln dienen? Nur der eigenen Freude oder auch einem pädagogischen Ziel?
Curt Sachs, einem bis zur Vertreibung durch die Nazis in Berlin, später in Paris und den USA wirkenden Musikforscher, lag enorm viel an der Beantwortung der oben gestellten Fragen. Als ausgebildeter Kunsthistoriker, der schon früh die Musik als sein eigentliches Forschungsgebiet ins Zentrum seiner Arbeiten stellte, propagierte er eine Herangehensweise an Untersuchungsgegenstände, die auf Struktur, Einordnung und – in besonderem Maße – Vermittelbarkeit setzte. Letzteres ganz ausdrücklich ohne ein Abgleiten in pseudo- oder
populärwissenschaftliche Folklore.
Im vorliegenden Tagungsband würdigen die Herausgeber Wolfgang Behrens, Martin Else und Frauke Fitzner den Gelehrten (und Sammler) Curt Sachs durch Einordnungen aus heutiger Sicht, lassen den Kulturwissenschaftler, Musikethnologen, Museologen und Museumsleiter aber insbesondere auch durch eigene Schriften sprechen; Artikel und Gutachten, die auch nach teilweise fast 100 Jahren kaum etwas an Aussagekraft eingebüßt haben und die auch rein sprachlich mit Genuss gelesen werden können. Sachs, der zwischen 1919 und 1933 Leiter des Vorgängers des Berliner Musikinstrumenten-Museums war, hat vor allem den Museumsmachern von heute eine Menge zu sagen.
In seinem gut 80 Jahre alten Aufsatz „Bedeutung, Aufgabe und Museographie von Musikinstrumentensammlungen“, den Curt Sachs bereits im (vorläufigen) Pariser Exil verfasste, vermittelt er nicht nur eine kleine Kulturgeschichte von Instrumentensammlungen, sondern weiß sehr pointiert für durchdachte wissenschaftliche und didaktische Museumskonzepte zu werben. Dies reicht von Hinweisen zur Gruppierung von Sammelstücken über Einlassungen zur Restaurierung und Wartung von Musikinstrumenten bis hin zu ganz grundsätzlichen Überlegungen hinsichtlich der Nutzung solcher Museen und ihrer Ausstellungsstücke.
Wenn die übrigen Autoren in ihren eigenen Beiträgen für eine weitere Beschäftigung mit Curt Sachs und seinen wissenschaftlichen Thesen und Ergebnissen werben, so ist das einerseits ein Zeichen dafür, dass Curt Sachs als prägnant argumentierender Musikwissenschaftler die „richtigen“ Fragen gestellt hat, ganz gewiss aber auch dafür, dass wir es hier mit einem – im besten Sinne des Wortes – Querdenker zu tun haben.
Daniel Knödler