Eckart Altenmüller

Vom Neandertal in die Philharmonie

Warum der Mensch ohne Musik nicht leben kann

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Springer, Berlin 2018
erschienen in: das Orchester 09/2018 , Seite 70

In den vergangenen Jahrzehnten gab die Gehirnforschung wichtige Impulse für unser Verständnis von Musik. Ihre Ergebnisse beeinflussten sogar die Diskussion in der breiten Öffentlichkeit: So schlug in den 1990er Jahren der sogenannte „Mozart-Effekt“ hohe Wellen. In der Musikpolitik berufen sich seitdem häufig Musikpolitiker darauf, dass Musik intelligenter machen würde. Doch inzwischen wurde der „Mozart-Effekt“ ins Reich der Fabel verwiesen und die Ergebnisse der Gehirnforschung werden nüchterner und differenzierter betrachtet.
Einen großen Anteil an dieser Entwicklung hat der Neurologe und Konzertflötist Eckart Altenmüller, der sowohl in naturwissenschaftlichem als auch musikalischem Denken zu Hause ist. In seinem neuen Buch Vom Neandertal in die Philharmonie legt er eine kluge Gesamtsicht von Musik und Neurologie vor. Das erste Kapitel stellt die Frage nach der Bedeutung der Musik in der Evolution. Dabei wird z. B. erörtert, ob auch Tiere Musik haben, welche Rolle Musik in der Evolution spielt und welche Bedeutung sie für sie hat.
Das zweite Kapitel erklärt, wie der Mensch Musik hört und wie die Gehörwahrnehmung im Gehirn verarbeitet wird. „Musik machen“ beschreibt Altenmüller als eine außerordentliche Höchstleistung des Gehirns, insbesondere, wenn es sich um Berufsmusiker handelt, müssen hier doch feinmotorische Bewegungen, Gehörwahrnehmung, Gedächtnis, Notenlesen und vieles mehr in kürzester Zeit koordiniert werden.
Musik spricht vor allem die Emotionen an. Altenmüller gibt eine interessante naturwissenschaftliche Definition für Emotionen: Sie sind ein „Reaktionsmuster“, das „subjektives Gefühl“, Bewegung wie z. B. in der Mimik oder Gestik, „physiologische Reaktion des autonomen Nervensystems, z. B. als Gänsehaut“ und eine „bewusste Bewertung“ umfasst. Wie es zur Erregung von „Gänsehaut“ durch Musik kommt, hat Altenmüller in seiner „Chill“-Forschung untersucht und stellt hier die Ergebnisse vor. Doch letztlich räumt er ein, dass bei der Erforschung der Frage, warum eine bestimmte Melodie uns z. B. zu Tränen rührt, die Gehirnforschung an ihre Grenze stößt.
Im abschließenden Kapitel gibt er Beispiele für die Bedeutung der Musiktherapie etwa bei Beziehungsschwierigkeiten, Ängsten, bei der Schmerztherapie, nach Schlaganfällen oder bei Demenz. Die Frage, ob Musik intelligenter macht, sieht er skeptisch: Zwar fördert Musizieren die Sprachfähigkeit und das Wortgedächtnis, aber sie macht Kinder keineswegs besser z. B. in Mathematik. Doch für gesichert hält er, dass sie die emotionale und soziale Kompetenz verbessert.
Altenmüllers Buch ist allgemein verständlich und flüssig geschrieben. In einzelnen Intermezzi werden allgemeinere Fragen oder unterhaltsame Themen dargestellt. Durch QR-Codes oder über die entsprechende URL können Musikbeispiele abgerufen werden. Für alle, die Musik machen oder hören, ist dieses Buch eine große Bereicherung!
Franzpeter Messmer