Halsey, Simon mit Wiebke Roloff

Vom Konzept zum Konzert

Schott Master Class Chorleitung, mit 2 DVDs

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: das Orchester 03/2012 , Seite 67

In der Tat, hier geht es um Master Class, um anspruchsvollste Chorarbeit zur Erlangung höchsten Niveaus der Interpretation und der Leistungs- und Ausdruckskraft der Sängerinnen und Sänger. So könnte mancher dieses Buch schnell beiseitelegen, da er meint, mit seinem Chor diesen Ansprüchen wohl niemals genügen zu können. Doch diese Veröffentlichung zum Thema Chorleitung – es gibt in diesem Bereich ja wahrlich nicht gerade wenig Literatur – wird auch Chorpraktikern etwas zu sagen haben, die sich nicht mit einem professionellen oder semiprofessionellen Chor an die großen Werke der Chorliteratur heranwagen können. Äußerst sympathisch berührt der kommunikative Ton des Buchs, der einlädt zum Mitfühlen, Mitdenken und der Mut macht, immer wieder neu zu experimentieren und sich, wenn auch nur in kleinen Schritten, einer stetig höherqualifizierenden Chorarbeit mit Energie und Freude zu widmen.
Im Aufbau geht das Buch von der Genese eines Chors aus, weiter über Programmplanung und -dramaturgie und beschäftigt sich sodann eingehend mit der Vorbereitung der Partitur. Hierbei gibt Halsey sehr persönliche Einblicke in seine Arbeitsweise und stellt exemplarisch zwei A-Cappella-Werke (Mendelssohn: Abschied vom Wald und Morten Johannes Lauridsen: O Magnum Mysterium) wie zwei großbesetzte oratorische Werke (Haydn: Die Schöpfung und Brahms: Ein deutsches Requiem) vor. Dieser Teil des Buchs dürfte für den praktizierenden Chorleiter den meisten Lern­effekt mit sich bringen, da die akribische Lesetechnik Halseys und die Vielgestaltigkeit möglicher Interpretationsansätze äußerst anregend für den eigenen Umgang mit großen Musikwerken sind und sich auch auf Werke bescheideneren Ausmaßes übertragen lassen. Es sind vielfach kleine, wie nebenher eingestreute Bemerkungen zu dirigiertechnischen oder musiktheoretischen Einzelheiten und die äußert einfühlsamen Hinweise zur Entstehungsgeschichte der behandelten Chorwerke, die das Buch zu einer äußerst angenehmen und spannenden Lektüre machen.
Natürlich fehlt ein Kapitel über Schlagtechnik ebenso wenig wie zentrale Bemerkungen zu Probenmethodik und -organisation. Es wird hier deutlich, wie wichtig Halsey die Kommunikation mit dem Chor auch in probentechnischen Absprachen ist und wie bedeutsam ein gutes Timing ist, das von vielen Detailüberlegungen innerhalb der Probenplanung abhängt: „Menschlicher Kontakt ist sehr wichtig, um jemanden gut zum Singen – zu gutem Singen – zu bringen“, heißt es auf Seite 247 kurz vor Schluss.
Zwei DVDs sind dem Buch beigefügt, die über vier Stunden Probenarbeit, Erörterungen, dirigiertechnische Anweisungen und Unterrichtssequenzen mit jungen Chorleiterinnen und -leitern beinhalten. Hier gerät vielleicht manchmal das Temperament des Autors ein wenig zu sehr in den Vordergrund, aber selbst das wirkt sympathisch und ist immer durchdrungen von der Begeisterung für und die Verlebendigung der einzustudierenden Werke.
Thomas Holland-Moritz