Ludwig van Beethoven

Vokalwerke mit Orchester

6 Bände im Schuber, hg. von Ernst Herttrich/Armin Raab/Norbert Gertsch/Anja Mühlenweg/Jeremiah W. McGrann, Urtextausgabe, Studienpartituren

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Henle
erschienen in: das Orchester 11/2020 , Seite 62

Betrachtet man die Häufigkeit, mit der die Werke Ludwig van Beethovens auf Spielplänen nicht nur deutscher, sondern auch internationaler Konzerthäuser, Festivals und Oratorienchöre auftauchen, scheint es höchst erstaunlich: Von einigen der Beethoven’schen Vokalwerke mit Orchester waren bislang tatsächlich noch keine Studienpartituren käuflich zu erwerben.
Gut, die Missa solemnis, die Chorfantasie oder Christus am Öl-berge gab es natürlich auch im kleinen Format als Partitur, aber etwa die Trauer-Kantate auf den Tod Kaiser Josephs des Zweiten WoO 87, frühere Fassungen von Opferlied und Bundeslied oder einige der Arien waren bislang – wenn überhaupt – nur als Dirigierpartituren erhältlich. Keine guten Voraussetzungen also für Chorsänger oder Solisten, die bei der Einstudierung oder im Konzert den Überblick über das Gesamtgetümmel behalten wollten. Und auch so mancher Wissenschaftler, Student oder beethovenaffine Laie schreckte bei allem Interesse an einem Werk sicherlich vor der Anschaffung der teuren Dirigierausgaben zurück.
Der Henle-Verlag schuf diesem Desiderat im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte nach und nach Abhilfe, indem man nach Erscheinen der einzelnen Vokalwerke in der dort beheimateten neuen Gesamtausgabe jedes mal auch bald die jeweilige Studienpartitur folgen ließ. Zum Beethoven-Jahr 2020 sind diese Bände nun auch alle in einer gegenüber den Einzelpreisen vergünstigten Box erhältlich.
Die Studienpartituren verzichten dabei zwar auf die in der Gesamtausgabe enthaltenen ausführlichen Vorworte und kritischen Berichte, doch für den ausübenden Musiker sind diese zur Einstudierung ja zur Not verzichtbar. Und der Notentext stimmt mit der großen Ausgabe überein.
Natürlich: So eine Studienpartitur verlangt gute Augen. Der Notensatz ist wirklich sehr klein, der Text gerade im Eifer des Gefechts vielleicht nicht ganz leicht zu lesen. Und ja, auch in diesem doch vergleichsweise handlichen Format sind die Bände keine Federgewichte, noch keine echten Taschenpartituren. Doch der Druck ist hervorragend, klar und deutlich, die Gliederung der Stimmen übersichtlich. Sehr zu loben ist insbesondere, dass die Anzahl der Systeme pro Seite innerhalb eines Stücks immer einheitlich bleibt, sodass der Nutzer sich beim Blättern auf jeder Seite spontan orientieren kann.
Ob das Erscheinen von Werken wie der wenig reizvollen Kantate Der glorreiche Augenblick oder den im Unterricht bei Salieri entstandenen, frühen Arien in Gesamtausgabe und Studienpartitur nun freilich die Aufführungszahlen in die Höhe schnellen lassen wird, sei dahingestellt. Doch in jedem Fall besteht für Wissenschaftler wie für aus-übende Musiker nun die Möglichkeit, sich in zuverlässigen Ausgaben damit zu befassen – und manche anderen Werke endlich nicht mehr nur aus dem Klavierauszug zu singen. Und das ist ja zum Beethovenjahr schon einmal eine sehr erfreuliche Nachricht!
Andrea Braun