Werke von Alfred Bruneau, César Franck, Louis Niedermeyer und anderen

Visions

Véronique Gens (Sopran), Münchner Rundfunkorchester, Ltg. Hervé Niquet

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Alpha-Classics
erschienen in: das Orchester 12/2017 , Seite 64

„Paradies, ich sehe dich, Oh Strom des Lichts, der Harmonie und der Liebe.“ Mit diesem Zitat von Massenet aus La Vierge leitet das Booklet dieser höchst erfreulichen Neuerscheinung Visions, passend zum musikalischen Inhalt, seinen knapp gehaltenen, dennoch informativen und unterhaltsamen Text ein. Nur zwei Seiten, keine unnötigen Biografien oder musikwissenschaftlichen Ausschweifungen, dafür sämtliche Texte der einzelnen Arien.
In französischer, englischer und deutscher Übersetzung spricht das Booklet von Ekstase, Flüchtigkeit und Glückseligkeit und fasst damit zusammen, wovon die hochromantischen Werke tönen. Es geht um Versöhnung und Erlösung, wenn sich Geneviève (Alfred Bruneau, aus der gleichnamigen Kantate), Blan­che (Fromental Halévy: La magicienne) und Clotilde (Georges Bizet: Clovis et Clotilde) im Gebet offenbaren. Und im Weiteren immer wieder um Anklage, Hadern und die Überwindung von Leiden und Krisen, aus denen Großes, Hehres erwächst.
Die Arien stammen aus wenig bekannten Opern von französischen Komponisten zwischen 1799 (Ha-
lé­vy) und 1875 (Henry Février), dazwischen Piecen von Benjamin Godard, Félicien David, Louis Niedermeyer und selbstverständlich César Franck und Camille Saint-Saëns, die hier nicht fehlen dürfen.
Die französische Sopranistin Véronique Gens zeigt sich prädestiniert für die Interpretation dieser zarten bis hochdramatischen musikalischen Visionen und Szenen. Ihr Stimmfach nennt man nach Cornélie Falcon, die ihrerzeit die Hauptrollen dieses Genres besetzte, „Falcon-Sopran“. Und wahrlich, ich könnte mir keine passendere Mischung aus vor Energie flirrendem Piano und volltönendem Forte vorstellen, die die gesamte Bandbreite der Erfordernisse dieser musikalischen Tableaus abdeckt. Leicht und mit dennoch eher dunklem Timbre gleitet Gens scheinbar vollkommen mühelos mit unendlichen, eleganten Legatobögen zwischen exaltierten Gefühlsausbrüchen und gefühlvollen Elegien hin und her.
Man möchte sich hineinlegen in diesen Schönklang, so wunderbar ausbalanciert ihr Vibrato und der Registerausgleich, und so vollendet auch das Zusammenspiel durch diese ganze schimmernde Palette romantischen Fließens hindurch mit dem Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Hervé Niquet. Das klanglich hervorragend aufeinander abgestimmte Orchester liefert vielfältige, nuanciert auskolorierte Stimmungsbilder und Hintergrundkulissen, schiebt sich zwischen den stimmlichen Ausschweifungen symphonisch, voluminös und rauschend, mit Feinschliff und geschmackvoller Agogik in den Vordergrund, um der Sopranistin den roten Klangteppich wiederum auszurollen.
So erfrischend klar und kurzweilig wie das Booklet gestaltet sich diese 55 Minuten währende Einspielung und Reise in die vibrierende Klangschönheit französischer Romantik des angehenden 19. Jahrhunderts, die auch höchste Punktzahl verdient, was die Klang- und Aufnahmequalität betrifft.
Kathrin Feldmann