Wolfgang Amadeus Mozart

Violinkonzerte Nr. 1-5

Adagio KV 261/Rondo KV 373, Gil Shaham (Violine), SWR Symphonieorchester, Ltg. Nicholas McGegan

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: SWR Classic
erschienen in: das Orchester 9/2022 , Seite 66

In Anlehnung an Richard Strauss (Ariadne von Naxos) könnte man sagen: „Es gibt ein Reich, wo alles rein ist.“ – Das ist das Reich der Musik und Mozart war sein Abgesandter. Nur kurze 35 Jahre hat er auf unserem Planeten verbracht, hinterlassen hat er dennoch die wohl reinste und schönste Musik. Cosima Wagner nannte ihn ein Licht- und Liebesgenie. Als Wunder­kind wurde er bezeichnet – ich würde sagen, er war ein Wundermensch. Seine musikalische Hinterlassenschaft ist so unglaublich reich und einzigartig, dass sie sicherlich noch weitere Jahrhunderte zum Standardrepertoire gehören wird.
Die kürzlich erschienene Doppel-CD mit Mozarts fünf Streichkonzerten belegt erneut seine Sonderstellung und sie darf als eine der besten Einspielungen dieser Werke angesehen werden. Gil Shaham, einer der aktuell besten Geigenvirtuosen, zeichnet mit seiner klangschönen Stradivari von 1699 außergewöhnliche Stimmungen in den Raum. Zudem hat er mit dem SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Nicholas McGegan einen Klangkörper zur Seite, der sich als idealer Partner erweist, der den leicht federnden Mozart-Sound mit Perfektion einbringen kann.
Zugegeben, Mozart fand das Klavier interessanter als die Geige, vielleicht aus Protest gegenüber dem strengen Vater. Dennoch sind diese fünf Konzerte – entstanden alle in der Salzburger Zeit zwischen 1773 und 1776 – Meisterwerke, wenn auch der Musikkritiker Alfred Einstein das erste und zweite Konzert als nicht wirklich originell bezeichnete. Dem kann ich nicht zustimmen, denn jede Komposition auf diesen zwei CDs klingt kostbar und vollkommen. Auch die Zusammenstellung ist geglückt: Violinkonzert Nr. 1 zusammen mit Nr. 3 und Nr. 4 und die Konzerte Nr. 2 und Nr. 5 zusammen mit dem Adagio für Vio­line und Orchester (1776) sowie dem Rondo für Violine und Orchester (1781) geben Zeugnis von einem gelungenen Klangverständnis.
Das Andante im zweiten Konzert scheint aber auch Alfred Einstein gefallen zu haben. Er bezeichnete die Musik als „wie vom Himmel gefallen“. Dem kann ich nichts hinzufügen. Die musikalische Harmonie zwischen Gil Shaham und dem Orchester ist beeindruckend; vielschichtig farbig der Gesamteindruck. Phrasierung und Dynamik basieren durchweg auf einer inneren Verbundenheit. Es gibt Momente, in denen man beim Hören mit den Musiker:innen auf einem Atem schwebt. Das Genie Mozart wird so unmittelbar wieder lebendig. Dem Orchester sowie Gil Shaham gelingt es, die ver­schiedenen Stimmungen mal sehnsüchtig melancholisch, dann voller Temperament und keck, immer fein ausbalanciert und ohne zu forcieren zu interpretieren. Jede Instrumentengruppe überzeugt mit stilistischer Finesse.
Violinkonzert Nr. 4 gefällt mit seinem kecken Rondo. Danach belegt das fünfte Konzert die erstaunliche Reife des 20-jährigen Mozart hinsichtlich Grazie und Form, es beinhaltet manch klangliche Überraschung. Wer noch immer das Außergewöhnliche in der Klassik sucht, hier ist es zu finden.
Midou Grossmann