Jean Sibelius/Igor Strawinsky

Violinkonzerte Lu Pei, Drama – Beijing Opera

Zhi-Jong Wang (Violine), Philharmonia Orchestra London, Ltg. Thomas Sanderling

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Accentus
erschienen in: das Orchester 01/2019 , Seite 68

Die chinesische Geigerin Zhi-Jong Wang, Jahrgang 1983, machte bereits früh auf sich aufmerksam: Im Alter von 15 Jahren gewann sie beim Yehudi-Menuhin-Wettbewerb für junge Geiger den ersten Preis. Es war der letzte Wettbewerb, den Menuhin noch persönlich leitete, und in der Folge förderte er die Künstlerin. Nachdem sie sich unter anderem von Kolja Blacher in Berlin weiter ausbilden ließ, ist sie momentan als Dozentin im Konservatorium ihrer Geburtsstadt Shanghai tätig.
Auf CD hat sie vor einigen Jahren ein zeitgenössisches Kammermusikrecital veröffentlicht. Auf vorliegender Einspielung widmet sie sich bekannterem Repertoire, wenngleich in ungewöhnlicher Kombination: Die Violinkonzerte von Sibelius und Strawinsky erklingen selten zusammen. In einem lesenswerten Beiheft-Interview spricht Wang über ihre klanglichen Vorlieben: Oistrach, Menuhin und Szigeti sind ihre Vorbilder, und sie schätzt einen „warmen, runden, reichkolorierten Klang“ mit Zwischentönen. Um dieses Ideal zu kultivieren, eignet sich das Sibelius-Konzert besonders. Und in der Tat gelingt der Geigerin eine sehr warm getönte, gleichwohl lebendige Interpretation, in der die klangfarblichen Spezifika des von ihr gespielten Stradivari-Instruments aufs Schönste zur Geltung kommen. Ihre Deutung überzeugt rundum, besonders jedoch in den lyrischen, dynamisch zurückgenommenen Passagen. Sie hat kein Problem damit, den vorwiegend romantischen Grundcharakter in den Vordergrund zu stellen – um so weniger, als Romantik bei ihr niemals mit Sentimentalität gleichgesetzt wird. Und das Konzert klingt unter ihren Händen eigentlich auch nicht besonders „skandinavisch“, was in ihrer Überzeugung begründet liegt, „Musik ausschließlich aus den Noten heraus zu begreifen“. Die Herausarbeitung der Struktur und des großen formalen Bogens ist ebenso Teil ihres Spiels wie die Verwirklichung des emotionalen Gehalts einer Komposition.
Zhi-Jong Wangs gleichermaßen form- wie klangbetonte Musizierhaltung führt auch im so völlig anders gearteten Strawinsky-Konzert zu positiven Ergebnissen – in diesem Fall dahingehend, dass die Partitur weicher, vielschichtiger klingt, als man dies oft zu hören bekommt. Und dies betrifft nicht nur die beiden lyrischen, „Aria“ überschriebenen Mittelsätze.
An dieser Stelle muss allerdings auch erwähnt werden, dass dem Philharmonia Orchestra unter Thomas Sanderling ein nicht geringer Anteil am Erfolg des Unternehmens zuzubilligen ist: Der Orchesterpart ist hier, wie auch schon im Sibelius-Konzert, nicht lediglich für die Begleitung zuständig, sondern gleichwertiger Partner der Solistin. Während Wang sehr feinsinnig agiert, liefert das Orchester hier den teils heiteren, teils skurrilen Gegenpart und fördert sonst oft verborgene Farbeffekte und Nebenstimmen an die Oberfläche.
Ein virtuoses und spannendes Solostück des chinesischen Komponisten Lu Pei mit dem Titel Drama – Beijing Opera rundet die CD ab. Von Zhi-Jong Wang würde man in Zukunft gerne mehr hören.
Thomas Schulz

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