Loris Tjeknavorian / Jean Sibelius / Komitas Vardapet

Violinkonzert op. 1 / Violinkonzert in d-Moll op. 47 / Krunk

Emmanuel Tjeknavorian (Violine), hr-Sinfonieorchester, Ltg. Pablo Gonzáles

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Berlin Classics
erschienen in: das Orchester 02/2021 , Seite 71

Bei Jean Sibelius tritt das Nordische in der Musik stark in Erscheinung, während bei Loris Tjeknavorian der armenische und persische Kulturkreis sichtbar wird. Diese Assoziationen sensibel aufzuzeigen, gehört zu den besonderen Vorzügen dieser Einspielung mit Tjeknavorians Sohn, dem Geiger Emmanuel Tjeknavorian. Zusammen mit dem elektrisierend musizierenden hr-Sinfonieorchester unter der einfühlsamen Leitung von Pablo González stellt der junge Wiener Emmanuel Tjeknavorian neben dem Violinkonzert von Jean Sibelius (mit dem er 2015 beim Sibelius-Wettbewerb gleich zweifacher Preisträger wurde) auch in einer Weltersteinspielung das Violinkonzert op. 1 seines Vaters Loris Tjeknavorian (*1937) vor.
Bei Loris Tjeknavorians Violinkonzert fällt eine merkwürdige rhythmische Präsenz auf, die die harmonischen Strukturen von Anfang an begleitet. Unisono-Passagen, chromatische Finessen und Martellato-Akzente wechseln sich hier in reizvoller Weise ab. Zwischen diesen zerklüfteten klang-lichen Felsblöcken entfaltet sich der zuweilen fast sphärenhaft wirkende Gesang der Violine wie von selbst. Er wird vom Orchesterbett regelrecht getragen. Zudem macht sich auch eine gewisse klangliche Nähe zum Werk Aram Chatschaturjans bemerkbar. Der exotische Hintergrund und die westliche Instrumentaltechnik gehen Hand in Hand. Das Werk von Tjeknavorian ist aber ausgesprochen tonal. Loderndes Feuer beschwört der Geiger Emmanuel Tjeknavorian dabei nicht nur bei den komplizierten Doppelgriffen.
Beim Violinkonzert in d-Moll op. 47 von Jean Sibelius bleibt die dynamische Balance von Violine und Orchester stets gewahrt – und auch die rhapsodische Form der drei Sätze lässt sich hier immer gut nachvollziehen. Der Charakter des ausgedehnten Eingangs-Allegros wird von Solist und Orchester voll erfasst und in seiner klanglichen Schönheit ausgekostet. Die drei Themen können sich hier in ihrer deutlichen Gliederung bestens entfalten. Die Schönheit des ausgesprochen melodisch musizierten Mittelsatzes stellt der Geiger Emmanuel Tjeknavorian in hervorragender Weise heraus. Tänzerisch ausgelassen und schwungvoll kommt zuletzt das vor Temperament geradezu sprühende Finale daher, das den Zuhörer durch seine unmittelbare kontrapunktische Kraft mitreißt. Der junge Geiger scheint hier ganz in seinem Element zu sein.
Als Zugabe ist noch Krunk von Komitas Vardapet (1869-1935) für Violine solo zu hören, bei dem der absolute Ausnahmegeiger Emmanuel Tjeknavorian seine klangsinnliche Genialität einmal mehr demonstrieren kann.
Diese Aufnahme ist ein Muss für alle Sibelius-Fans. Und auch die Geiger können davon profitieren. Das Orchester hält sich angenehm zurück, der Solist bekommt alle Chancen.
Alexander Walther