Violinkonzert

Rubrik: Noten
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Viele zeitgenössische Komponisten orientieren sich bei der Besetzung ihrer Werke eher an praktischen Erwägungen: Wie häufig kann eine Komposition mit vertret- oder bezahlbaren Mitteln aufgeführt werden? Wo finden sich Musiker, die sowohl das nötige instrumentale Können als auch den Willen zur Beschäftigung mit moderner Musik haben? Die ein oder andere Ausnahme sind Auftragswerke für Festivals oder Orchester, bei denen dann nicht nur besetzungstechnisch aus dem Vollen geschöpft werden kann. Keinerlei Einschränkungen dieser Art sieht sich vermutlich inzwischen Jörg Widmann mehr ausgesetzt; er kann zurzeit fast schreiben, was er möchte – die Interpreten werden es ihm mit Begeisterung aus den Händen reißen und das Publikum wird es mit Wohlwollen anhören.
Sein rund halbstündiges Violinkonzert aus dem Jahr 2007 – ein Auftragswerk gleichwohl – kommt in konventionell-großen Sinfonieorchester-Dimensionen daher, wobei der Komponist sich und seinen Musikern nur beim Schlagzeug ein paar kleine Extras abseits der klassisch-romantischen Besetzung gönnt. Die musikalische Struktur ist rhapsodisch ausgeweitet, die Stimmungen wechseln rasch, aber dennoch organisch, und klangliche Kontraste sind detailreich herausgearbeitet. Widmann gibt seinem von unzähligen Tempo- und Taktwechseln durchzogenen Violinkonzert zahlreiche Aufführungsanweisungen mit und stellt so sicher, dass die gedachte Ausdrucksskala auch in der musikalischen Wirklichkeit ankommt. Diese Skala reicht – gemäß der Spielvorschriften – vom „schönheitstrunken, schwärmerischen“ Beginn über viele agitato und bewegt überschriebene, sich mit ruhig-fließenden, kantablen Sequenzen abwechselnde Konzertteile bis hin zum kraftvoll-statisch ausklingenden Schluss.
Klanglich bietet Jörg Widmann eine minutiös organisierte und im Notenbild klar umgesetzte Reise mit einer Violinsolostimme, die sich musikantisch entfalten darf, die den großen Ton ebenso zelebriert wie sie zu klanglicher Differenzierung angehalten ist und die nicht zuletzt auch sehr virtuos auftrumpfen darf. Den Solisten wird Jörg Widmanns von Christian Tetzlaff und der auftraggebenden Jungen Deutschen Philharmonie unter Manfred Honeck aus der Taufe gehobenes Violinkonzert gefallen, weil man aus den prägnant ausgearbeiteten Ideen des Komponisten etwas machen kann; dem begleitenden Orchester wird es großes Vergnügen bereiten, eine groß dimensionierte musikalische Erzählung mitzugestalten; und den Zuhörern wird sich Jörg Widmanns Musik unmittelbar erschließen, weil sie sich natürlich entwickelt und mehrheitsfähige Hörerwartungen nicht offensichtlich oder brutal vor den Kopf stößt.
Daniel Knödler