Garth Knox
Violin Spaces
Contemporary violin studies, mit einem Geleitwort von Carolin Widmann
In der Violinliteratur hat es schon so manch eine Etüde für Fortgeschrittene zur „Konzertreife“ gebracht. Man denke nur an Niccolò Paganinis 24 Capricen, die, zwar kaum als kompletter Zyklus, doch zumindest hin und wieder in Teilen aufgeführt werden. Natürlich waren diese Etüden in Zeiten des aufkommenden Virtuosentums im 19. Jahrhundert und in der Folge entstandenen Etüden oder Studien selten nur zum Weiterentwickeln der Technik und zum Üben hinter verschlossenen Türen bestimmt – im Gegenteil: Der Titel solcher Werke wurde im Kontrast zum extremen Schwierigkeitsgrad der Kompositionen als bewusste Untertreibung gewählt.
Ein klein wenig anders liegt der Fall in Garth Knox’ Violin Spaces. Die hinterlassen beim ersten Anblick zwar auch ein leichtes Schwindelgefühl ob ihrer spieltechnischen Anforderungen, jedoch sind sie vom Komponisten bewusst so gestaltet, dass das Üben an und mit ihnen zum weiteren Erforschen der dargestellten Klangräume einlädt.
Garth Knox verrät in seiner umfangreichen Einführung zu allen acht Spaces ausführlich, wie er sich die Ausführung mit Fingern und Bogen vorstellt, welche Effekte durch die jeweils im Zentrum stehende Technik wie Pizzicato oder Flageolett hervorgerufen werden sollen und wie man sich Erweiterungen der einzelnen Studien vorstellen könnte.
Doch damit nicht genug. Im Rahmen seines Webauftritts hat Garth Knox Videos von zwei der acht Violin Spaces mit der Widmungsträgerin, der niederländischen Geigerin Diamanda Dramm, zur Verfügung gestellt, die aus seiner Sicht eine prototypische Aufführung darstellen und zusätzlich der über den Notentext hinausgehenden Inspiration dienen sollen. Anregungen, Inspiration und Anweisungen genug also, um aus den auf den ersten Blick zunächst etwas sperrig wirkenden Übungen klangvolle Musik zu machen. Dabei hilft im einen oder anderen Fall auch ein außermusikalischer Bezug wie der Titel „The Raven“ (nach Edgar Allan Poe) der Nummer sieben.
Garth Knox, in Irland geboren und selbst als Bratscher vor allem in der Aufführung zeitgenössischer Musik aktiv, entwirft in seinen Violin Spaces auf großem Raum und mit vielen Ideen, die schon auch auf Vorbilder wie Pierre Rode, Eugène Ysaÿe oder George Rochberg hindeuten, eine Reise in abwechslungsreiche, bisweilen schrill schillernde Klangwelten, die einen ebenso „großen“ Zugriff des Interpreten erfordern. Er muss auf der Geige von Blues bis Folklore, von Singen bis Kratzen und von Flöte bis Schlagzeug einfach alle musikalischen Register ziehen können.
Daniel Knödler