Prokofiev, Sergei

Violin Sonatas / Cinq Mélodies op. 35b

Franziska Pietsch (Violine), Detlev Eisinger (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Audite 79.722
erschienen in: das Orchester 12/2016 , Seite 73

Ein paar kantige Bassoktaven, dann Akzente der Violine in tiefster Lage, zu Trillern sich steigernd, wie­der versandend: Franziska Pietsch und Detlev Eisinger gelingt ein packender Einstieg in Sergej Prokofjews f-Moll-Violinsonate op. 80. Und einer, der überhaupt charakteristisch für den interpretatorischen Zugriff des Duos auf dieser CD ist.
Ausdruck geht hier über Glättung und Schönfärberei. Von Anfang an reißt Pietschs präsenter, hochexpressiver Geigenton die Aufmerksamkeit geradezu an sich. Das heißt nicht, dass sie nicht auch über Schönklang verfügte: Zu Anfang des dritten Satzes jener Sonate entlockt sie dem sordinierten Instrument (1751 gebaut von Carlo Antonio Testore in Mailand) einen wunderbar warmen, hypnotisch säuselnden Gesang. Aber generell ist Pietschs Freude an scharfen Akzenten und emotionaler Gestik unverkennbar. Möglich, dass dabei manchmal
etwas zu viel des Guten geschieht, denn die Gefahr des Überdrucks ist bei dichtem Vibrato und dem in der Höhe spitzen Klang von Pietschs Violine nicht immer vermeidbar.
Der Neoklassizismus der D-Dur-Sonate op. 94b explodiert bei solcher Verve geradezu. Schon das erste Thema des ersten Satzes ist nur scheinbar ruhend, scheint immer bereit, in Akzente und lärmende Motorik auszubrechen. Das Finale dann ist endgültig ein reißender Strudel mit grellen Lichteffekten und einer geigerischen Energie, die manchmal an die Grenzen dessen vorstößt, was man in Sachen präziser Tonbildung und Intonation noch nachsehen kann.
Franziska Pietsch ist in Ostberlin aufgewachsen; bereits fünfjährig bekam sie ersten Geigenunterricht von ihrem Vater, elfjährig gab sie ihr Debüt an der Komischen Oper und konzertierte früh als Solistin mit namhaften Orchestern der DDR. In den Jahren 1998 bis 2002 war sie 1. Konzertmeisterin im Sinfonieorchester Wuppertal und von 2006 bis 2010 Deuxième Soliste im Orchestre Philharmonique du Luxembourg.
Die pianistische Klasse von Detlev Eisinger, Pietschs Duopartner am Klavier, zeigt sich darin, wie er es versteht, als kongenialer Partner zu wirken, mit seiner enormen klanglichen und ausdrucksmäßigen Palette sowohl dem Geigenpart zu sekundieren als auch genuine gestalterische Impulse zu geben. Die reichen von dem subtilen Klangzauber im erwähnten dritten Satz der f-Moll-Sonate bis hin zu den brutalen, feroce vorzutragenden Bassschlägen im Finale. Übrigens trägt zu dem farbigen und kontrastreichen Gesamteindruck der klanglich weiche und wunderbar nuancenreiche Steingraeber-Flügel nicht wenig bei. Die brillante, aber tiefenscharfe technische Umsetzung präsentiert dem Hörer all das gleichsam auf dem Silbertablett.
Die CD wird abgeschlossen von den fünf Mélodies op. 35b, die hier mit sinnlichem Schmelz und sanglicher Eleganz daherkommen. Im Ganzen liefern Pietsch und Eisinger differenzierte und vor allem entschieden expressive Interpretationen. Vielleicht wird dabei manche Hörerwartung gegen den Strich gebürstet, aber wer Freude an lebendigen und pointierten Interpretationen hat, wird mit dieser Einspielung zweifellos warm werden.
Gero Schreier