Bach, Johann Sebastian / Valentin Silvestro

Violin Solo 7 / Sonatas & Partitas BWV 1001-1006 / Postludium II

Renate Eggebrecht (Violine)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Troubadisc TRO-CD 01444
erschienen in: das Orchester 09/2015 , Seite 81

So kann man Bach offenbar auch spielen. Bach muss nicht virtuos sein, Bach muss nicht mit Vibrato gespielt werden, Bach muss nicht romantisch sein – wenngleich beispielsweise die Aufnahme mit Jascha Heifetz aus dem Jahr 1952 in ihrer perfekten Einheit von Esprit, Brillanz, Durchsichtigkeit, aber eben auch Romantik noch immer bewegend ist. Bach muss aber immer überzeugend gespielt werden. Das hat nichts mit einer „egozentrischen und äußerlichen Darstellung“ zu tun, die Renate Eggebrecht zu Recht ablehnt.
Überzeugend ist die vorliegende Einspielung gar nicht. Die von Eggebrecht ausdrücklich bevorzugte Intonation nach der Quint-Terz-Stimmung ist mehr als fragwürdig und besonders in hohen Lagen kaum zu rechtfertigen. In den insgesamt unpathetischen Ausdruck mit sparsamer Betonung wollen sich die hörbaren Lagenwechsel nicht einfügen. Immer wieder gequälte, zerfaserte Akkorde, schleppende Tempi, unpräzise Läufe und wenig dynamische Differenzierung, was die Linienführung nicht wirklich transparenter macht.
Zwar ist die Ausführung der zarten, leichten Sätze stets angemessen, aber geht es flott zu – und das ist ja durchaus nicht selten der Fall bei diesen Partiten und Sonaten –, hält man die Luft an in der Sorge, dass der Geigerin gleich die Luft ausgeht. Die große melodische Entwicklung verliert sich leicht, die Lebendigkeit, von Renate Eggebrecht selbst als so prägend für Bachs Werk erachtet, sucht man hier häufig vergebens. Hier erinnert zu vieles an einen artig übenden Schüler an der Grenze zur Überforderung, sodass die Freude an Werk und Spielweise sowie der Interpreta-
tionsgedanke bedauerlicherweise arg ins Hintertreffen geraten.
Aber wie alles hat auch diese CD ihre zwei Seiten: Gänzlich überzeugend ist das 1982 komponierte Postludium II des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestro in seiner Spiritualität und Nachdenklichkeit, in seiner Feinheit und Differenziertheit – jedoch vielleicht auch deshalb, weil
es keine echten geigentechnischen Hürden bietet. Auch muss Eggebrechts Verdienst um die Sololiteratur für Geige im Allgemeinen und in diesem Fall um die geistige Durchdringung der Bach’schen Musik – stets auf den Spuren der diesbezüglichen Pionierin Helga Thoene – absolut anerkannt werden.
Die Einspielung wurde im Jahr 2011 aufgenommen und im Februar 2015 wie die anderen (anspruchsvollen) Werke für Violine solo beim Label Troubadisc veröffentlich. Sie bietet streckenweise eine wissenschaftlichintellektuelle Anregung für Forscher – für Freunde und Kenner aber eben leider gar keinen Hörgenuss. Nicht umsonst hat so mancher berühmte und fähige Geiger Bachs Solostücke noch nicht öffentlich gespielt und noch nicht auf CD herausgebracht, schon gar nicht in einem solch vorgerückten Alter.
So sollte man Bach nicht spielen.
Carola Kessler