Franz Joseph Clement

Violin Concertos Nos. 1-2

Mirijam Contzen (Violine), WDR Sinfonieorchester, Ltg. Reinhard Goebel

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical
erschienen in: das Orchester 06/2020 , Seite 68

Lange Zeit war Franz Joseph Clement (1780-1842) im öffentlichen Bewusstsein lediglich als jener Musiker verankert, der im Dezember 1806 Beethovens Violinkonzert D-Dur op. 61 uraufführte. Angesichts des aktuellen Beethoven-Jubiläums lässt sich diesbezüglich eine positive Veränderung bemerken: Das Label Sony Music hat sich nämlich zur Veröffentlichung der Reihe „Beethoven’s World“ entschlossen und stellt dort Werke in den Mittelpunkt, die dazu angetan sind, so manche dem Heroenkult um Beethoven geschuldete abschätzige Meinung zum damaligen Musikleben zu revidieren. Den Auftakt bildet eine Produktion mit Clements Violinkonzerten, die ein besonders starkes Zeichen setzt. Sie verdeutlicht, wie stark einerseits Beethovens op. 61 dem 1805 entstandenen Violinkonzert Nr. 1 D-Dur von Clement verpflichtet ist – gibt es doch Passagen, die in Bezug auf Figurationen und harmonische Abläufe nahezu identisch sind –, macht aber andererseits auch greifbar, wie die Kenntnis von Beethovens Musik wiederum auf die ausgereiftere sinfonische Konzeption von Clements nach 1806 entstandenem Violinkonzert Nr. 2 d-Moll/D-Dur einwirkte. Die Geigerin Mirijam Contzen lässt beide Kompositionen im besten Licht erscheinen und unterstreicht damit, dass die Stücke im heutigen Konzertleben größere Aufmerksamkeit verdient haben. Ihre Wiedergabe des ersten Violinkonzerts zeichnet sich gegenüber der eher zähen Ersteinspielung von Rachel Barton Pine (2008) durch eine in stilistischer Hinsicht wohlinformierte, in Bezug auf den Einsatz von Klangfarbe und Artikulation detailreiche Umsetzung aus. In den Rahmensätzen wägt Contzen die lyrischen Anteile des Violinparts geschickt gegen Passagenwerk und gebrochene Akkorde ab und fügt sich ausgesprochen gut in die Farbwerte des Orchesters ein, ohne dabei ihre führende Rolle aus den Augen zu verlieren. Abschnitte wie die unbegleitete Kantilene, in der nach den einleitenden Orchestertakten des Mittelsatzes allmählich das Thema geformt wird, überzeugen darüber hinaus durch sorgsame klangliche Modellierung. Das zweite Violinkonzert bereichert den positiven Eindruck um weitere Facetten, da es einen weitaus größeren Anteil an dramatischem Ausdruck einfordert und zugleich mit einer engeren Verflechtung von Solopart und Orchester aufwartet – Aufgaben, denen sich Contzen etwa unter Einsatz vielfach abgestuften Vibratos nähert. Beide Konzerte profitieren schließlich von den stilistischen Erfahrungen Reinhard Goebels, der die melodischen Phrasen atmen und die orchestralen Begleitschichten mit großer rhythmischer Elastizität wiedergeben lässt. Gleichfalls lobenswert ist der Begleittext des Dirigenten, denn er geht weit über jenen unverbindlichen Plauderton hinaus, der sich mittlerweile in CD-Booklets eingebürgert hat, und führt adäquat in die Werke und ihren historischen Kontext ein. Einziges Manko der Veröffentlichung ist der Umstand, dass nirgendwo erwähnt wird, von wem die eingespielten Kadenzen stammen.
Stefan Drees