Dmitri Shostakovich / Pyotr Ilyich Tchaikovsky

Violin Concertos

Linus Roth (Violine), London Symphony Orchestra, Ltg. Thomas Sanderling

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Challenge CC72689
erschienen in: das Orchester 03/2017 , Seite 71

Die Zusammenstellung dieser beiden Konzerte ist etwas bedauerlich: Tschaikowskys Violinkonzert liegt in einem absoluten Überangebot vor, darunter zig herausragende Aufnahmen, die weitere Einspielungen einfach nicht erforderlich machen. Sinnvoller wäre die Koppelung mit dem (berühmteren) ersten Violinkonzert von Schostakowitsch gewesen, aber hier hat man wohl nur an den mit Tschaikowsky zu erwartenden Mehrverkauf gedacht.
Die neuerliche Einspielung des Tschaikowskys-Konzerts macht man dem Publikum damit schmackhaft, dass es sich um die erste Echt-Version handele; die Abweichungen gegenüber den hinlänglich bekannten Spielarten sind freilich so gering, dass sie möglicherweise den beteiligten Musikern ins Gehör springen mögen, ganz sicher aber nicht dem „nur“ rezipierenden Publikum. Klar, Linus Roth, der längst in die erste Reihe der großen Violinvirtuosen vorgestoßen ist, ist ein Perfektionist, der akribisch das Notenmaterial ausleuchtet und in technischer Hinsicht keine Wünsche offen lässt. Das gilt aber für mindestens 20 seiner Kollegen nicht minder! Was Roth möglicherweise von einigen von ihnen unterscheidet, ist sein auffallend weicher Ton, der freilich nach meinem Geschmack etwas zu breit, etwas zu elegisch daherkommt.
Seine eigentliche Meisterschaft lässt Roth bei Schostakowitsch heraus, höchst kompetent unterstützt allerdings von Thomas Sanderling und den Londoner Sinfonikern. Sanderlings persönliche Bekanntschaft mit dem Komponisten wirkt sich auf die Einspielung zweifellos vorteilhaft aus.
Schostakowitsch komponierte dieses Werk für David Oistrach zu dessen 60. Geburtstag, bringt freilich nicht gerade so etwas wie Feierlaune mit hinein. Vielmehr zeugt das Konzert mit seiner Düsternis von den Problemen des Komponisten (wie sie sonst im 20. Jahrhundert und im Verhältnis eins zu eins nur noch von Allan Petterson „musikalisiert“ wurden): Das Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit (nach einem Herzinfarkt) in Verbindung mit ersten Parkinson-Symptomen führte hier die Feder.
In der vorliegenden Aufnahme überzeugt die ausdrucksvolle Darstellung des Werks, die die Zuhörer nachhaltig, beinahe philosophisch in das Werk hineinzieht. Die Adagio-Tonfolgen, die sich durch das Gesamtwerk ziehen (und nicht nur durch die entsprechend bezeichneten Sätze), geht Linus Roth grüblerisch, stellenweise geradezu in einer der Komposition angemessenen Niedergeschlagenheit an. Das Allegro des Werks fordert dem Interpreten allerhöchste Virtuosität ab, der Roth mit seinem nuancenreichen Spiel mehr als gerecht wird.
Der Text des Begleitheftes (Jens F. Laurson) zeichnet sich nicht nur durch eine erfreuliche Informationsfülle aus, die zudem ohne Musiker-Kauderwelsch auskommt, sondern (endlich?) auch mal durch eine gute Portion Humor, was die Lektüre zu einem wirklichen Vergnügen geraten lässt.
Friedemann Kluge

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