Britten, Benjamin / Mieczyslaw Weinberg
Violin Concertos
Der 1919 in Warschau geborene, nach seiner Flucht vor deutschen Truppen in Moskau ansässig gewordene Komponist Mieczyslaw Weinberg erlebt in den vergangenen Jahren eine erstaunliche Wieder- oder
eher Erstentdeckung. Der großen Öffentlichkeit wurde er bekannt, als seine Oper Die Passagierin bei den Bregenzer Festspielen 2010 ihre szenische Uraufführung erlebte. Danach gelangte auch Weinbergs Idiot 2013 in Mannheim auf die Bühne, und parallel dazu entwickelte sich das Interesse für sein umfangreiches Orchester- und Kammermusikschaffen, von dem vieles inzwischen auf Tonträgern zugänglich ist (s. auch S. 74).
Auf der vorliegenden CD kann der Hörer Bekanntschaft mit Weinbergs Violinkonzert op. 67 aus dem Jahr 1959 machen, das dem Geiger Leonid Kogan gewidmet wurde. Dmitri Schostakowitsch, als dessen Schüler sich Weinberg empfand, obwohl er nie direkten Unterricht bei ihm erhalten hatte, zeigte sich damals von dem fabelhaften Werk des jüngeren Kollegen sehr beeindruckt. Schostakowitschs Lob fußt auch auf einer Geistesverwandtschaft zwischen seiner eigenen Musik und derjenigen Weinbergs, was Letzterem oft den Vorwurf eingetragen hat, er sei lediglich ein zweiter Schostakowitsch. Dieser Vorwurf ist allerdings übertrieben. Beim Anhören von Weinbergs Violinkonzert wird man zwar einige Parallelen in der Klangsprache entdecken, nicht aber Schostakowitschs Neigung zum Sarkastischen oder Depressiven.
Das zeigt die Interpretation von Weinbergs Konzert durch das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter Mihkel Kütson und dem fabelhaften jungen Geiger Linus Roth, der nach dem ersten orchestralen Impuls im rhythmisch betonten Allegro-molto-Kopfsatz sofort energisch die Führung übernimmt und aus kurzen Motiven allmählich längere melodische Gestalten entstehen lässt. Weinbergs Konzert hat fraglos das Zeug zum Repertoirestück, nicht nur, was den seine Zuhörer unmittelbar anspringenden Kopfsatz betrifft, sondern auch das folgende Allegretto von zurückhaltender Nachdenklichkeit, welches nach kadenzartigem Monolog des Solisten in ein Adagio übergeht, in dem Linus Roth weite sangliche Bögen spannt. Eigenwillig ist nur, dass Weinberg den als fröhlichen Marsch beginnenden Finalsatz mit einer Antiklimax enden lässt, wenn der letzte Doppelgriff-Geigenklang sanft von den Hörnern verabschiedet wird.
Zweites Werk auf der vorliegenden CD ist Benjamin Brittens Violinkonzert, 1939 in der kanadischen Emigration angesichts der drohenden europäischen Kriegsgefahr entstanden. Die Zeitumstände haben den Tonfall der Komposition geprägt. Sie sei eher ernst, befürchte ich, äußerte der Komponist, dennoch habe sie Melodien zur Genüge. Diese Melodien bringt Linus Roth, wo ihm das oft sinfonisch führende Orchester Freiräume eröffnet, zum Leuchten und Klingen: eher diskret und schlank im Ton, doch mit viel Emphase bis hinein in den als Passacaglia gestalteten Finalsatz.
Gerhard Dietel