Hristoskov, Peter

Violin Concertos

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Gega New CD 372
erschienen in: das Orchester 04/2014 , Seite 76

Bulgarien verfügt trotz der großartigen Volksmusik kaum über eine Außenwirkung im kompositorischen Bereich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden zahlreiche Komponisten als Nationalhelden gekürt, unter
ihnen Enescu für Rumänien, Bartók für Ungarn oder Britten für England. Für Bulgarien blieben die einzigartigen Chorgesänge nationale Chiffren und sicherlich die Bauernliedbearbeitungen Bartóks zum bulgarischen Rhythmus, die international breit rezipiert wurden.
Insofern ist es besonders interessant, wenn ein bulgarischer Komponist veröffentlicht wird. Peter Hristoskov (1917-2006) war vor allem ein außergewöhnlicher Geigenvirtuose und Lehrer, der frühzeitig mit Werken von Tschaikowsky, Chausson und Vivaldi auf sich aufmerksam machte. In der Folge studierte er zwischen 1940 und 1943 u.a. bei Gustav Havemann in Berlin. Als Professor an der staatlichen Musikhochschule in Sofia bildete er seit 1950 zahlreiche Talente aus, unter denen Evgenia-Maria Popova die vielleicht prominenteste Virtuosin ist.
Sein 1. Violinkonzert, 1959 vom Komponisten selbst aufgeführt, findet überdeutlich den Anschluss an den späten neoklassisch geprägten Folklorismus Bartóks mit einem sehr einfachen Thema, das den Konzertsatz prägt. Die in ihrer Plastizität in die Gefilde Tschaikowskys führende Instrumentation sowie die überaus brillant virtuosen Solopassagen, die funkenschlagend Pizzicati mit Springbogentechnik verbinden, sorgen für eine reizvolle Mischung, die gelegentlich übermotiviert alles bieten möchte. Das Zusammenwirken von Klangfarben und Virtuosität wird im 2. Satz, einem spritzigen Scherzo, vor allem im Unisono-Spiel zwischen Soloinstrumenten des Orchesters und dem Violin-Pizzicato der Solistin noch überboten, hier nun an Schostakowitsch orientiert. Im 3. Satz, Lento, steigert sich die dunkle Kantilene in fast filmmusikalische Ekstase, um dann nach einem Katast­rophen-Szenario von peitschenden Farben im Beginn zu verebben. Fast komplementär zum dritten Satz angelegt, nimmt das Finale Bezug zum 1. Satz und schließt die etwas stereotyp angelegte Großform. In atemberaubender Geschwindigkeit leitet uns die Interpretin durch eine Odyssee von Spieltechniken, die sie nicht nur virtuos, sondern auch im Ausdruck komplett beherrscht. Durchwebt mit exotischen Folklorismen vermisst man eigentlich nur eins, nämlich den „hinkenden“ bulgarischen Rhythmus.
Im 3. Violinkonzert op. 35 wird das Terrain traditionell viersätziger Form verlassen zugunsten einer fantasieartigen Einsätzigkeit, die mit flirrenden Klangflächen beginnt. Auch hier werden verschiedenste Idiome von dodekafonen Anklängen zu folkloristischen Kolorits verbunden und münden in einen Epilog, der eine orientalisch anmutende Kantilene mit zart transparenten Klangflächen unterlegt: eine Hommage an die bulgarische Violinistin Nedyalka Simeonova (1901-1959), die das Volkslied häufig als Zugabe in ihren Konzerten spielte. Schon allein dieses sphärische Ende macht die CD äußerst hörenswert neben der stupenden Virtuosität Evgenia Popovas, die statt überflüssiger Allüren den dynamischen Kosmos von Bogen und Saite (sie spielt eine Goffredo Cappa aus dem Jahr 1691) vollendet spürbar macht und zum sensiblen Resonanzkörper mutiert.
Steffen Schmidt