Kühr / Resch / Zykan

Violin Concertos

"Der Anfang ist wie ein Anfang"

Rubrik: CDs
Verlag/Label: col legno WWE 1CD 20279
erschienen in: das Orchester 10/2009 , Seite 70

Drei Komponisten, eine Muse: Da würde man gern sehen, was man hört. Denn keines dieser Konzerte bescheidet sich mit dem gewohnten Auftritt; alle wollen sie der Geigen-Akrobatin das virtuose „Futter“ zukommen lassen, das ihrer extravaganten Rolle angemessen ist und dessen Rezepturen sie immer auch mitmixt. Und jeder der Komponisten fühlt sich herausgefordert, das Konzertpodium zur Theaterbühne zu machen und sich spieltechnische Eskapaden und musikalische Attitüden einfallen oder abringen zu lassen, um den Star immer wieder spektakulär in Szene zu setzen.
Doch das kapriziös-temperamentvolle Agieren der moldawischen Geigerin Patricia Kopatchinskaja verdeckt nie den Witz und die Originalität der Werke, die ihr die entflammten Österreicher zu Füßen legten. Sie wirken so inspiriert und überzeugend, dass auch der Nur-Hörer auf seine Kosten kommt und ihm zu diesen Gattungs-Reflexionen gar eine eigene assoziationsreiche Bilderwelt einfällt. Schon die Titel laden dazu ein, die den musikalischen Sinn oder außermusikalische Absichten benennen – auch wenn nicht jeder Komponist explizit der Maxime von Otto M. Zykan (1935-2006) folgen mag, „dass eine Musik, die nicht zu erzählen weiß, besser nicht geschrieben wäre“.
Aber es gibt Gemeinsames! Jedes Konzert sucht, ob von der Geige dezent oder prononciert in Gang gesetzt, geradezu nachtwandlerisch einen Anfang und Wege zu Entfaltung des Materials: über den Einzelton, ein Intervall, ein prägnantes Motiv; mit einer klaren Kontur, einer verwischten Linie, mit visionären Klängen. Jedes Stück gewinnt der Konstellation von Solo und Orchester Neues ab. Und jedes Konzert möchte das „körperlich theatralische Spiel, die virtuose Gestik“ (Zykan) der Solistin, ihr „ungestümes, lebendiges, liebenswert-verrücktes Wesen“ (Resch) zur Geltung bringen, ohne „eine Zirkusnummer“ zu zeigen.
Zykans Konzert (2004) rankt sich um das alte Volkslied Da drunten im Tale, etabliert kontrastreich Theater-Ambiente und romantische Kulissen, zitiert die Herz-Schmerz-Weise und lässt am Ende die Solistin singen. Auch die Movimenti (2006) des 1952 geborenen Gerd Kühr – humorige und hintergründige Auslassungen anlässlich des Mozart-Jahres 2006 – starten mit szenischen Aktionen des Orchesters, in die die Geigerin ebenso unvermutet einsteigt, wie sie – als nach gefühlvollen Kantilenen, ungarischen Rhapsodien und rhythmischen Kapriolen alles vorbei scheint – wieder aus der Versenkung auftaucht und noch ein Kadenz-Feuerwerk abbrennt. Gerald Reschs (geb. 1975) Titel Schlieren (2005) verdeutlicht moderne Kompositionstechniken: Schichten, Überlagerungen, Auflösungen. Und mit Doubles verweist er auf formale Zweiteilungen und Verdichtungen, auf poesievolle Einlassungen, auf Übermalungen, auf Paarungen, bei denen eine Bratsche schon mal mit der Geige konkurriert.
Überall aber ist die Muse auch die Diva. Das Orchester und die Dirigenten machen ihr diese Rolle nie streitig. Aber sie sind jederzeit auf souveräne und beeindruckende Art mit von der Partie. Brillant!
Eberhard Kneipel