Karol Szymanowski/Mieczysław Karłowicz

Violin Concertos

Tasmin Little (Violine), BBC Symphony Orchestra, Ltg. Edward Gardner

Rubrik: CD
Verlag/Label: Chandos
erschienen in: das Orchester 02/2018 , Seite 67

Faszinierend – die Werke, die Künstler, die Aufnahme. Längst schon hat Chandos mit den Einspielungen der Sinfonien von Szymanowski und der Tondichtungen von Karłowicz Pionierarbeit geleistet und für Aufsehen gesorgt. Mit ihren Violinkonzerten gelingt dem Label nun eine weitere erlebnis- und erkenntnisreiche Präsentation.
Und auch hier erweisen sich die Komponisten als herausragende Vertreter der progressiven Gruppe „Junges Polen in der Musik“ zu Beginn und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Beide haben den Absprung aus der provinziellen Enge gewagt. Beide haben lange im Ausland gelebt, reiche Erfahrungen gesammelt und den Anschluss an die internationale Moderne gefunden. Und sie haben erstmals seit Chopin der Musik ihres Heimatlandes Weltgeltung verschafft und den nachfolgenden Generationen Wege und Ziele des Fortschritts gewiesen.
Und wenn Karol Szymanowski seine Kunst als „Improvisationen eines Wanderers, der immer weiter zu neuen Ufern und Kontinenten strebt“, emp­findet, so trifft das nicht minder auf Mieczysław Karłowicz zu. Dessen Violinkonzert A-Dur – 1902 entstanden und ein Jahr später unter seiner Leitung in Berlin mit dem Philharmonischen Orchester uraufgeführt – steht am Anfang einer verheißungsvollen Entwicklung, die einzigartige Sinfonische Dichtungen hervorbrachte und die durch den Lawinen-Tod des 33-jährigen 1909 in der Tatra ihr tragisches Ende fand. Wagners Ring, Tschaikowskys Melancholie und die Klangraffinessen von Strauss waren die Grundlagen seines Schöpfertums, das schnell zu individuellem Ausdruck fand. Auch das frühe dreisätzige Konzert, das an Tschaikowsky anschließt, erhält durch die herrlichen lyrischen Melodien des Nebenthemas, der „Romanza“ sowie im Final-Mittelteil seinen besonderen Reiz.
Szymanowskis Konzerte hingegen markieren verschiedene Stationen seines Weges und spiegeln so die europäische Musikentwicklung zwischen Spätromantik, Folklorismus und Neuer Sachlichkeit wider. Es scheint, als gäben sich Debussys Faun und Strawinskys Feuervogel, Skrjabins Ekstasen und die Leuchtkraft von Strauss, die Stimmen der Natur und die Tänze der Bergbauern ein Stelldichein. Das 1. Konzert (1916) ist Szymanowskis Verklärte Nacht – geheimnisvoll schimmernde, vielfarbig schillernde und sinnlich schwelgende Klänge, inspiriert von Tadeusz Micińskis Gedicht Mainacht.
Klarer in der Form, härter im Ton und vitaler im Rhythmus zeigt sich das 2. Konzert; Ihm verlieh der legendäre Geiger Paweł Kochański ebenfalls seinen Feinschliff, und er hat dieses letzte große Werk des Freundes auch 1933 in der Warschauer Philharmonie uraufgeführt.
Auch jetzt sind die Interpreten wieder ein Glücksfall für diese drei beeindruckenden Konzerte: Tasmin Littles ebenso fulminantes wie feinsinnigen Spiel imponiert mit jener „atemberaubenden Virtuosität“ und „glühenden Hingabe“, für die sie weltweit gerühmt wird. Und das BBC Symphony Orchestra öffnet mit Edward Gardner am Pult aufs Neue wie von Zauberhand die wundervollen Klangwelten dieser beiden Polen.
Eberhard Kneipel