Igor Strawinsky/Philip Glass
Violin Concertos
David Nebel (Violine), London Symphony Orchestra / Baltic Sea Philharmonic, Ltg. Kristjan Järvi
Der junge Geiger David Nebel kommt aus Zürich, und dies ist, so informiert uns seine Homepage david-nebel.com, seine erste „eigene“ CD. Zuvor hatte er bereits auf Veröffentlichungen der LGT Young Soloists mitgewirkt; bei Alexander Gilman, dem Künstlerischen Leiter dieses Ensembles, hat Nebel studiert. Die Werkauswahl der CD ist recht ungewöhnlich: keines der romantischen „Schlachtrösser“, kein Vivaldi, Bach oder Beethoven, sondern zwei Konzerte von Komponisten, die man nicht unbedingt sofort mit dem Klang der Geige in Verbindung bringt: Philip Glass und Igor Strawinsky. Für beide war zudem das Genre des Violinkonzerts nur bedingt erste Wahl – für Glass zumindest insofern, als es sich bei seinem ersten Violinkonzert (inzwischen hat er noch ein zweites geschrieben) zugleich um seine erste Komposition für Sinfonieorchester handelt.
Es liegen bereits mehrere Einspielungen dieses knapp halbstündigen Werks vor, doch David Nebel braucht keinerlei Konkurrenz zu fürchten. Im Gegenteil: Seine Interpretation ist dazu angetan, Vorurteile gegen Glass’ minimalistische Kompositionsweise zu entkräften. Sicher, es gibt keine herkömmlichen Themen in dieser Musik, vielmehr die für Glass typischen Bandschleifen, doch Nebel beweist mit seinem ungemein sensiblen, variationsreichen und zudem klangfarblich intensiven Spiel, wie viel musikalischer Gehalt aus der scheinbar so simplen Oberfläche zu extrahieren ist, wenn man nur an die Musik hundertprozentig glaubt. So hat der Hörer am Ende des Konzerts, das sich mit seinem ruhigen Tempo an den Anfang anlehnt, völlig zu Recht das Gefühl, einen Kreis durchschritten zu haben. Mehr als adäquat begleitet wird er von Kristjan Järvi und dem London Symphony Orchestra; dass der Orchesterpart dieses Werks keine Begleitung, sondern vielmehr eine gleichwertige Ergänzung des Solisten darstellt, wird hier optimal vermittelt.
Igor Strawinsky wollte erst gar kein Violinkonzert schreiben, da er sich mit den technischen Möglichkeiten der Geige zu wenig vertraut fühlte. Als er dann doch damit begann, war es sein Ziel, ein Virtuosenkonzert zu schreiben, dessen Solopart förmlich „nach Geige stinken“ sollte. David Nebel bleibt den technischen Anforderungen dieses Werks denn auch nichts schuldig und wirft sich förmlich in die bunte Parade verschiedener Stilimitationen und Scheinzitate, die in den Ecksätzen die Musik beherrscht. Keine Spur von trockener Neoklassik! Es sind jedoch die beiden „Aria“ überschriebenen Mittelsätze, die Nebels Interpretation besonders wertvoll machen; hier gibt es Momente, in denen der Hörer unwillkürlich schlucken muss, weil er einen derartig tiefen Ernst in dieser Komposition nicht für möglich gehalten hätte – Momente, in denen David Nebel ganz zu sich selbst findet.
Diese Interpretation könnte Referenzwert für sich beanspruchen, wenn nicht das Orchester – anders als in dem Glass-Konzert – tendenziell leicht mulmig und entfernt abgebildet wäre. Ein kleiner Wermutstropfen in einer ansonsten mitreißenden Veröffentlichung.
Thomas Schulz