Bohuslav Martinů / Béla Bartók

Violin Concertos 1 & 2 / Solo Sonata

Frank Peter Zimmermann (Violine), Bamberger Symphoniker, Ltg. Jakub Hrůša

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Bis Records
erschienen in: das Orchester 06/2021 , Seite 76

Rhapsodisch und kantabel – Solche Attribute gebraucht man mit Vorliebe für große spätromantische Kompositionen. In dieser Aufnahme treffen sie auch auf Bohuslav Martinůs zweites Violinkonzert H. 293 zu. Das für den Solisten Mischa Elman bestimmte Opus erlebte seine Uraufführung auf Vermittlung von Serge Koussevitzky mit dem Boston Symphony Orchestra zu Silvester 1943 und gehört inzwischen fast zum Standardrepertoire.
Dagegen wird Martinůs in intensiven Absprachen mit dem Amerikaner Samuel Dushkin 1932/33 entstandenes erstes Violinkonzert H. 226 noch immer vernachlässigt, seitdem es nach einer abenteuerlichen Wanderschaft des Autographs erst 1973 durch Georg Solti und Josef Suk in Chicago zur Uraufführung gelangt war. Martinů, der in seiner Jugend als Student von Suk selbst beste Aussichten auf eine Karriere als Violinvirtuose hatte, zeigt in diesen Kompositionen eine akribische wie passionierte Zuneigung für die Möglichkeiten „seines“ Instruments. Die unerwarteten Motiventwicklungen, die kurzatmigen Partikel, schnellen Läufe und zirzensischen Intervallsprünge des früher entstandenen Opus waren auch Zugeständnisse an dieVorlieben Dushkins.
Zwei Martinů-Enthusiasten sind im Einsatz: Jakub Hrůša ist Präsident, Frank Peter Zimmermann Ehrenmitglied des International Martinů Circle. Vor einem Auftritt mit den Berliner Philharmonikern 2018 sprach Zimmermann von den extrem hohen technischen Anforderungen des ersten Violinkonzerts, welche in den von Dushkin erbetenen dreistimmigen Akkordpassagen fast einer Vergewaltigung des Instruments gleichkommen. Auf der Einspielung mit den Bamberger Symphonikern ist von diesen Anstrengungen nichts zu spüren. Dafür hört man die meisterhafte Bewältigung zweier ganz unterschiedlicher Komposi-
tionsstrategien.
Hrůša hätte bei den Aufnahmen im Oktober 2019 seine bestens disponierten Bamberger Symphoniker kräftiger auf die melodischen Steilvorlagen des zweiten, mit mehr gewitzter Schärfe auf die Herausforderungen des ersten Violinkonzerts einschwören und somit eine deutliche Polarisierung des „spätromantischen“ gegen das „moderne“ Idiom betreiben können. Aber er und Zimmermann wollen keine vereinfachende Paradigmen-Polarisierung. Damit begreifen sie Martinů als Komponisten, für den Aufbruch und Liebe zur Tradition keine Widersprüche waren. Der Formplan des ersten Violinkonzerts ist durch die gerundete Orchesterbehandlung besser erkennbar und macht so die Kontraste zu den Wirkungen des im besten Sinne schwelgerischen zweiten Konzerts umso deutlicher verstehbar. Ein großer Wurf.
Die im Booklet von Michael Crane erwähnte parallele Bedeutung der je zwei Violinkonzerte im Werkverzeichnis Martinůs und Béla Bartóks wird verständlich durch Zimmermanns Wiedergabe von Bartóks Sonate für Violine Sz. 117. Melodische und kantige Virtuosität nimmt er auch hier auf einer Linie.
Roland Dippel