Tschaikowsky, Peter / Lalo, Édouard

Violin concerto / Symphonie Espagnole

Augustin Hadelich (Violine), London Philharmonic Orchestra, Ltg. Vasily Petrenko/Omer Meir Wellber

Rubrik: CDs
Verlag/Label: LPO – 0094
erschienen in: das Orchester 09/2017 , Seite 72

Von Tschaikowskys Violinkonzert gibt es wahrlich viele Einspielungen, von David Oistrach bis hin zu Julia Fischer. Solche Schlacht­rösser des Repertoires laufen freilich Gefahr, als Demonstrationsobjekt technischen Könnens und klanglicher Perfektion ge- oder missbraucht zu werden. Manchmal wird dabei auch vergessen, dass Tschaikowsky dieses Konzert nach einem persönlichen Zusammenbruch, dem Scheitern seiner Ehe und der missglückten Unterdrückung seiner Homosexualität, komponiert hat. Doch bei Augustin Hadelich und Vasily Petrenko ist das anders. Bereits am Anfang wird dem Hörer bewusst: Dieser Solist spielt nicht nur klangschöne Töne, einen gekonnten Lauf und perfekt intonierte Doppelgriffe wie etwa Julia Fischer, sondern er gibt von Anfang an jedem Ton seine eigene Prägung, vermittelt das Drama, das diese Musik dann später entfaltet. Dabei ist Hadelichs Violinton klar, präzise, durchdringend, aber nie schwer oder pastos, wie man das bei Oistrach hören konnte. Lange Töne werden von ihm mit seinem differenzierungsreichen Timbre moduliert, aber nicht als Selbstzweck, sondern um Teil der Geschichte zu werden, die Tschaikows-
kys Musik erzählt.
Hadelich gelingt es in den schnellen Passagen, die Musik zugleich strukturiert und voller Emotionen lebendig werden zu lassen. Die Canzionetta trägt er in der Haltung eines Sängers vor, spielt die Melodie sprechend als „Gesang ohne Worte“. Im Finalsatz versteht er es, den Rhythmus der Tanzthemen geradezu körperlich und choreografisch hervortreten zu lassen. Dabei gelingt ihm das schnelle Herumwirbeln höchst virtuos.
Die Bedeutung dieser Einspielung beruht allerdings nicht nur auf der Leistung Hadelichs, sondern vor allem auf der übereinstimmenden Gestaltung durch das Orchester und den Solisten. Dies gilt für Petrenkos Dirigat beim Tschaikowsky-Konzert, vor allem aber für das von Omer Meir Wellber bei Édouard Lalos Symphonie Espagnole. Das „Spanische“ in diesem Konzert wird von Wellber und Hadelich nicht als exotische Couleur locale aufgefasst, vielmehr geht es ihnen um Klarheit und Strenge. Wellber zeigt dies bereits bei den Anfangsakkorden, welche die damals als höchst modern empfundene Harmonik in aller Schärfe herausstellen. Das Orchester bleibt stets in seinem Klang transparent und besitzt im Piano höchste kammermusikalische Differenziertheit. Hadelichs Spiel entspricht am meisten der Interpretation von Maxim Vengerov. Allerdings geht er hinsichtlich der Klarheit seiner Artikulation konsequent einen Schritt weiter. Bewundernswert ist dabei sein Spiel auf der G-Saite, die zwar in voller Basscharakteristik erklingt, aber nie „vergewaltigt“ wirkt. Lalos Symphonie Espagnole kann in der kongenialen Interpretation von Hadelich und Wellber als eine erstaunlich „moderne“ Musik entdeckt werden: Zum Impressionismus eines Debussy ist es nicht mehr allzu weit.
Franzpeter Messmer