Alban Berg

Violin Concerto/Seven Early Songs/Three Pieces for Orchestra

Gil Shaham (Violine), Susanna Phillips (Sopran), San Francisco Symphony Orchestra, Ltg. Michael Tilson Thomas

Rubrik: CDs
Verlag/Label: SFS Media SFS 0080
erschienen in: das Orchester 11/2021 , Seite 76

Zwei Opern – davon eine unvollendet –, dazu rund ein Dutzend Kammer-, Vokal- und Orchesterwerke: Hinter dieser nüchternen Aufzählung verbirgt sich das reiche und zugleich beklagenswert schmale Œuvre Alban Bergs. Sein katastrophisch früher Tod – er starb fünfzigjährig 1935 –, langsame Kompositionsprozesse und manch kräftezehrender, selbstloser Einsatz für den verehrten Lehrer Schönberg verhinderten, dass dieser Komponist zumindest noch einige wenige weitere Schaffensschwerpunkte hätte setzen können. Es ist der sehnsüchtige, vergebliche Wunsch nach „mehr Berg“, der uns begleitet beim Hören der vorliegenden, exzellenten Einspielung dreier unvergleichlicher Solitäre.
Dass der selbstkritische Komponist 1928 Lieder aus seinen Jugendjahren einer Überarbeitung, Orchestrierung und vor allem Veröffentlichung für wert befand, geht nicht zuletzt auf persönliche Motive zurück. Die Sieben frühen Lieder sind eine Liebeserklärung an seine Frau: Berg hatte Helene Nahowski 1907 kennengelernt, im selben Jahr, da Traumgekrönt, Liebesode und Die Nachtigall in einem Konzert der Schüler Schönbergs erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Der Einfluss Strauss’, Hugo Wolfs, durchaus auch Debussys (etwa in Nacht) ist in diesen Liedern ebenso spürbar wie die gleichermaßen inspirierende wie disziplinierende Prägung durch den strengen Lehrer Schönberg. Die amerikanische Sopranistin Susanna Phillips – als Shootingstar im lyrischen Fach regelmäßiger Gast der Met sowie führender europäischer Opernhäuser und Orchester – singt die Lieder mit Wärme, einer wunderbar geführten, bruchlosen Stimme, glasklarer Diktion und berückender Expression.
Gil Shaham, einer der führenden Violinisten unserer Zeit, spielt Bergs Violinkonzert – jenes unter drängenden Umständen entstandene Auftragswerk, das sich alsbald zum „doppelten“ Requiem für Manon Gropius und den Komponisten selbst entwickelte – in größter Perfektion und zugleich fernab jeder Virtuosen-Attitüde, überdies mit viel Gespür für die lyrischen Momente und in schlanker, geradezu eleganter Tongebung, die dem gelegentlich sentimentalitätsgefährdeten Gestus der Musik gut bekommt.
Über welch enorme Farb- und Ausdruckspalette das großartige San Francisco Symphony Orchestra verfügt, erleben wir vor allem in Bergs Orchesterstücken op. 6: Von den gehauchten Pianissimi des Präludiums bis zu den gewaltigen Hammerschlägen des apokalyptischen Marsches zeigen sich die vielen Facetten des Dramatikers Berg, der es vermochte, furchtbaren Zusammenbrüchen künstlerische Gestalt zu verleihen. Michael Tilson Thomas – eine „Westküsten-Institution“, die dem Orchester bis 2020 ein Vierteljahrhundert lang als Chefdirigent verbunden war – führt das SFSO souverän durch die überaus komplexe Partitur. Das vorgeschriebene „Mäßige Marschtempo“ zu Beginn des 3. Stücks ist vielleicht einen Hauch zu drängend geraten, doch sollen Lob und Begeisterung für diese gelungene Berg-Produktion hierdurch nicht geschmälert werden.
Gerhard Anders