Beethoven, Ludwig van / Alban Berg

Violin Concerto op. 61 / Violin Concerto “To the memory of an angel”

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Audite 95.590
erschienen in: das Orchester 04/2012 , Seite 68

Zwei Geiger haben zu Ludwig van Beethovens Violinkonzert den Interpretationsrahmen geschaffen: Franz Clement, der 1806 das Werk uraufführte, und Joseph Joachim, der fast fünfzig Jahre später dem kaum gespielten Stück zum Durchbruch verhalf. Clement spielte „mit seiner gewöhnlichen Eleganz und Zierlichkeit“, Joachim „mit ungewohnt reichem Klang“.
Bis heute kann man sich in diesem Spektrum in Sachen Beethoven orientieren, und Christian Ferras, der 1951 mit den Berliner Philharmonikern unter Karl Böhm in der Jesus-Christus-Kirche zu Dahlem das Werk aufnahm, macht da keine Ausnahme. Mit seiner fein timbrierten und bruchlosen Tongebung, dem ruhigen Gestus bei homogener Ablaufsdramaturgie steht der damals 18-Jährige zweifellos dem Clement’schen Ansatz nahe. Makellos ist die Intonation, ganz anstrengungslos gleitet die Violine zwischen und über den Orchestergruppen dahin und schürt die Deutung, das Violinkonzert sei eher eine Sinfonia concertante. Allerdings steht dem Ferras’ und Böhms Temponahme mit enormen Dehnungen entgegen: Teilweise verliert sich fast das Gespür für das Grundtempo.
Vergleicht man Böhms Dirigat mit dem Bruno Walters, der vier Jahre früher mit Joseph Szigeti und den New Yorker Philharmonikern das Werk einspielte, ist in Berlin eine im Orchesterbild klobigere und in den Profilen flächigere Klangform entstanden. Zentrale Motiventwicklungen, darunter die wichtigen Bläser-Ostinati, sind stark unterbelichtet. Der fehlende erste Takt des Larghettos geht auf das Konto der damaligen technischen Produktion, die falsch geschnitten hat.
Dreizehn Jahre später hat Christian Ferras, wieder in Berlin, Alban Bergs Violinkonzert eingespielt: im Großen Sendesaal in der Masurenallee. Diesmal begleitete ihn das Radio-Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung von Massimo Freccia. Zum damaligen Zeitpunkt ist das Berg’sche Violinkonzert das akzeptierteste Werk der Zweiten Wiener Schule, zugleich aber auch das in der elektroakustischen Abbildung verunstaltetste: eine überpräsente Violine und dahinter ein verschwimmendes Tutti. Auch in Berlin sind bei manch dichter Partie nur Bruchstücke des beziehungsreichen Klanggewebes an die Oberfläche gebracht worden. Instruktiv sind auch hier Vergleiche mit anderen Aufnahmen von damals: Ivry Gitlis mit dem Wiener Pro Musica Orchester unter William Strickland ist wesentlich idiomatischer, während André Gertler mit Paul Kletzki und dem Philharmonia Orchestra vehementer und elegischer ist.
Ferras’ klassizistischer Habitus ist durchaus beeindruckend, streng im Ablauf und nüchtern bewegt. Freccia bleibt Bergs klanglichen Anspielungen manches schuldig, sodass letztlich nur die souveräne Hochgestimmtheit einer „dem Andenken eines Engels“ gewidmeten geigerischen Klangrede überzeugt.
Bernhard Uske