Bartók, Béla / Peter Eötvös / György Ligeti

Violin Concerto Nr. 2 / Seven / Violin Concerto

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naïve V 5285, 2 CDs
erschienen in: das Orchester 05/2013 , Seite 78

Das Musikpaket rund um die Solo-Violine ist ein „schwerer Brocken“ – ein CD-Doppel mit drei wichtigen zeitgenössischen Werken von Bartók, Eötvös und Ligeti. Jedes für sich ist eine Offenbarung, ein Fort-Schritt, eine Hommage an dieses Instrument ohne traditionelle oder konventionelle Kompromisse. Es sind Stücke, in denen das Soloinstrument mit dem unterschiedlich besetzten Orchester meistens verschmilzt, nur gelegentlich gestatten die Komponisten (in Kadenzen) der Solistin Kopatchinskaja aufregende Passagen. Sie spielt ein Instrument von G. F. Pressenda von 1834. Es erlaubt ihr einen schwerelosen, transparenten, schwebenden, fast unwirklichen Klang – zwischen Himmel und Erde. Wobei die international umjubelte Geigerin, wie ihre ungarischen Komponisten-Kollegen aus Transylvanien (heute in Rumänien liegend) stammend, ein wunderschönes Statement zu dieser Aufnahme verfasste: „Zwischen Himmel und Erde, Vergangenheit und Zukunft versank ich einen Moment lang im ungarischen Kosmos und spürte Zuflüstern, Splitter und Zeichen der lebenden und verewigten Seelen. Aus Licht und Finsternis, Traum und Wachheit erklang Musik…“
Der Reihe nach, vielleicht auch der Bedeutung. Béla Bartók schrieb sein zweites Violinkonzert 1939, kurz vor seiner Emigration in die USA; Eötvös reagierte 2007 auf den Tod der Columbia-Astronauten (2003) mit Seven (in sieben Musikgruppen im Raum aufgeteiltes Ensemble); Ligeti, der souveräne Verfremder, setzt scheinbar irrationale Energien frei in seinem Konzert, das in dieser (fünfsätzigen) Fassung 1992 uraufgeführt wurde – übrigens ebenfalls von Eötvös.
Das heißt also: Hier findet über drei im Konzept und Klangvolumen stark unterschiedliche Werke ein ungemein dichtes, intensives, kompaktes, aber auch suchend-leuchtendes Musizieren statt. Bartóks variationenreiches, sogar eine Zwölftonreihe einbeziehendes „Gesamtkunstwerk“, bei dem die Solistin brillieren darf, Ligetis bis zur schmerzhaften Attacke reichende, kühne Avantgarde und Eötvös’ Trauer- und Klageklänge stehen für entscheidende Entwicklungen in der Musik des 20. Jahrhunderts.
Das Orchester des Hessischen Rundfunks und das Ensemble Modern (Ligeti), jeweils von Eötvös dirigiert, leisten Enormes – weil sie sich hinter die Kompositionen und deren Positionen stellen. Alle dienen dem Opus und dies trifft auch auf Patricia Kopatchinskaja zu. Sie erlaubt sich keine solistischen Freiheiten einer Grenzen überspringenden, eitlen Virtuosin. Sie ordnet sich ein, allerdings nicht unter. So ergibt sich das, was sie in ihrem schönen Kommentar poetisch so umreißt: Musik aus Licht und Finsternis, aus Traum und Wachheit erklingt in starken, bewegenden, mitreißenden Momenten. Diese Konzerte lassen das Auditorium niemals kalt, selbst wenn man den kulturgeschichtlichen Hintergrund ausklammern sollte.
Jörg Loskill