Prokofiev, Sergei
Violin Concerto No. 2 / Sonata for two violins in C / Solo-Violin-Sonata in D
Viktoria Mullova (Violine), Tedi Papavrami (Violine), hr-Sinfonieorchester, Ltg. Paavo Järvi
Sergei Prokofjev war (mehr oder weniger unfreiwillig) Weltbürger, weil er Russland verließ und ins Exil ging. Beispiel für die biografische Offenheit: sein zweites Violinkonzert op. 63. Es entstand während einer großen Reise durch verschiedene europäische Länder. Der erste Satz entstand in Paris, der zweite in Woronesh. Uraufgeführt wurde das Werk, zu dem ihn Freunde des Geigers Robert Soetens angeregt hatten, 1935 in Madrid. Die Uraufführung der Sonate für zwei Violinen fand wiederum 1932 in Paris statt. Als Prokofjew in die Sowjetrepublik in der Stalin-Ära zurückkehrte, bekam er u.a. 1947 den Auftrag für eine Violinsonate (op. 115, 1947), die er im Geist einer neuen Einfachheit (so die offizielle staatliche Rhetorik) schrieb. Ob sich der Komponist selbst von solchen Einschätzungen beeinflussen ließ? Da darf man skeptisch sein. Richtig ist jedoch, dass er wieder in seiner russischen Heimat leben wollte. Dass er mit Kompromissen zumindest vorübergehend einverstanden war. Ob das aber ein echter Friedensschluss mit Moskaus Funktionären war?
Das 2. Violinkonzert liegt Viktoria Mullova ideal in den Fingern, im (geistigen) Griff, in melodischer und rhythmischer Substanz. Alles klingt überlegt und doch aufregend, elegant und doch neu und subjektiv erfasst. Vor allem die langsamen Teile mit der wachsenden Innenspannung (sie weisen vielleicht schon auf die Ballettmusik zu Romeo und Julia hin) leuchtet sie wunderschön aus. Da scheint sie jede Note zu genießen. In den Allegro-Passagen (1. und 3. Satz) eilt sie zwar rasant über die Saiten, aber auch hier zielt sie auf Eigenständigkeit und Transparenz (im Verhältnis zum Orchester).
Die Sonate für zwei Violinen ist eine Besonderheit. Zusammen mit Tedi Papavrami stößt Mullova durchaus in schroff artikulierte Duo-Landschaften vor, aber auch hier gewinnen schließlich Lyrik und Melodik an privatem Raum.
In der Solo-Sonate durchwandert der Komponist die Möglichkeiten des Geigenspiels, wie er es verstand: mit der Bereitschaft zu Variationen, zu einem neoklassischen Duktus, zu einem raschen Wechsel aus lyrischem Verweilen und drängender Motorik. Mullova spielt es so, dass nichts mehr daran erinnert, dass Prokofjew ursprünglich diese Sonate für ein Kinderensemble schrieb also muntere Einfachheit im technischen Ausdruck vermitteln wollte. Im Finale con brio folgt sie wahrhaftig mit starkem Brio dem kompositorischen Auftrag.
Das hr-Sinfonieorchester besteht unter der Leitung von Paavo Järvi die begleitende Aufgabe im Violinkonzert im ständigen Wechsel zwischen ironischer Brechung und düsteren Effekten. Darin spiegelt sich wohl die Weltbürger-Haltung des Komponisten. Schmerz und Verzweiflung schwingen mit. Auch das ist bei Järvi herauszuhören.
Jörg Loskill