Anders Hillborg
Violin Concerto No. 2 / Liquid Marble / Kväll
Hanna Holgersson (Sopran), Eldbjørg Hemsing (Violine), Swedish Radio Symphony Orchestra, Ltg. Esa-Pekka Salonen
Um es vorweg zu sagen: Liquid Marble von Anders Hillborg ist ein Kaleidoskop orchestraler Effekte, „offenhörig“ und plakativ so gewollt. Dies ist angesichts der brillanten Bläserstimmen in den Zwischenpartien aber keine Wertung. Die klanglichen Überraschungsmomente, vor allem das voluminöse Glissando zu Beginn, rütteln auf, doch gewährleistet ein schillernder Klangteppich den Zusammenhang. er lässt sich leicht mit dem durch den Titel beabsichtigten, nur bei extremer Hitze denkbaren „flüssigen Marmor“ identifizieren. Dazu passt die gleitende, gegen Ende zu polyfoner Vielschichtigkeit gesteigerte Satzfaktur, kanonisch strukturierte und vorwärts drängende Bewegung der Stimmen – um im Bild zu bleiben: der Rinnsale, die den Marmorstrom bilden.
Bei Kväll (Abend) handelt es sich um eine neue Aufnahme des Schwedischen Radiosymphonieorchesters unter Esa-Pekka Salonen – einem stimmigen Wechselgesang zwischen solistischer Violine, ausgeführt von der norwegischen Geigerin Eldbjørg Hemsing, und der Opernsopranistin Hannah Holgersson. Der Text des zugrunde liegenden Liedes geht auf ein CD-Album von Eva Dahlgren aus dem Jahr 1994 zurück. Die kurzen Verse lassen es im Unklaren, ob der Wunsch des lyrischen Ichs, das sich womöglich auf einer Insel befindet, von der der Gang zu Fuß nur auf Eisschollen zum Festland möglich ist, auf einen Geliebten oder eine persönliche Befreiung zu beziehen ist. Die Deklamation der beiden Stimmen ist klanglich schön, von matter, aber beschwörender Sehnsucht geleitet und in den orchestralen Hintergrund eingebettet.
Das zweite Violinkonzert, deutlich jünger als Liquid Marble und Kväll, stellt hingegen ein Paradestück für angehende Virtuosen dar, um ihre Ausdrucksfähigkeiten am Instrument zu testen, was Eldbjørg Hemsing mit Präzision, Leichtigkeit und Eindringlichkeit gelingt, sodass sie als ideale Besetzung für das moderne und von jeglicher Schule unabhängige Werk bezeichnet werden kann. Die Qualität der Aufnahme des Trios Ulf Östling, Carrie Budelmann und Martin Igelström beweist sich in einer schier unglaublichen, an die Grenzen des aufnahmetechnisch Möglichen gehenden Präsenz und Räumlichkeit.
Anders Hillborg erweist sich sowohl in seinen früheren Werken als auch im vorliegenden späteren Violinkonzert als Magier experimenteller Instrumentation, Stimmenkreuzung und -führung im Orchestersatz, zu verdanken unter anderem seiner Verbindung von traditioneller akustischer und elektronischer Musik.
Hanns-Peter Mederer