Brahms, Johannes
Violin Concerto in D / String Quartet op. 111
Camerata Bern, Antje Weithaas, Violine und Leitung
Ob Johannes Brahms seine Freude an dieser Deutung seiner Werke gehabt hätte, bleibt offen. Ein Violinkonzert mit beinahe kammermusikalischer Streicherbesetzung, ein Streichquintett in mehrfacher Besetzung: Der Wahl-Wiener hätte seine Werke so komponiert, wenn er sie so hätte hören wollen.
Die Camerata Bern bietet auch hier wieder, ähnlich wie in ihrer Beethoven-CD, einen überraschenden Klangeffekt: Indem sie die Streicher in Brahms Violinkonzert D-Dur op. 77 sehr reduziert besetzt und offenbar ohne Dirigenten spielt, erscheint das Werk wunderbar verjüngt, wie nach einem großen Regen. Durch die geänderte Klangbalance verleihen die großartig zurückgenommenen, aber ganz aktiv agierenden Bläser ihren Passagen eine verstärkte Präsenz. Über dem entkernten Streicherapparat und diesen dann jeweils die Führung übernehmenden Bläsern entfaltet sich die Brillanz der Solovioline geradezu schwerelos. Ein erstaunliches Experiment. Doch eventuell ist dabei ein anderes Opus entstanden.
Im gewollt umgangssprachlich gehaltenen Booklettext ist von einer neuen Erfahrung im Zusammenspielen der seit ehedem experimentierfreudigen Camerata Bern zu lesen. Und: Der Aufwand, aus einer vielleicht ursprünglichen Intonationsübung des Spitzenensembles eine studioreife Einspielung zu machen, hat sich gelohnt. Die jetzige Leiterin der 1962 gegründeten Camerata, Antje Weithaas, nutzt das nun kammermusikalisch sensibilisierte Klanggerüst, indem sie sich mit ihrem Solopart geschmeidig einfügt. Als Prima inter Pares, als neues Element, nicht als vom Orchester getragene Solistin. Ihre ausgesprochen weit gefächerte Ausdruckskraft, besonders deutlich in den enorm energiegeladenen Doppelgriffpassagen oder in der violahaften tiefen Lage, machen Antje Weithaas Spiel der Ensembleleistung ebenbürtig.
Sie revanchiert sich bei der Camerata, indem sie die Fäden beim nun wiederum verstärkt besetzten Brahmsschen Streichquintett op. 111 in einem sensiblen, feinfühligen Dirigat zusammenhält, was ihre großartige Kammermusikerfahrung wiederspiegelt. Kleinste Nuancen in Dynamik und Agogik machen den Satz vielseitig und bunt. Auch hier deutet allerdings die Klanglichkeit mit drei- und vierfach besetzten Geigen und Bratschen, zwei Celli und Kontrabass über die originäre Werkidee hinaus. Dies zeigt sich besonders im letzten Satz Vivace ma non troppo presto, wo die durch die Mehrfachbesetzung der Stimmen neugewonnene Energie eine Prachtentfaltung entstehen lässt, die sicher im Entstehungsjahr 1890 so, zumal in der Kammermusik, nicht von Brahms gewollt gewesen wäre.
Katharina Hofmann