Wynton Marsalis
Violin Concerto/Fiddle Dance Suite
Nicola Benedetti (Violine), The Philadelphia Orchestra, Ltg. Cristian Mǎcelaru
„Es ist ein aufregendes neues Stück“, lobte Lennox MacKenzie, 1. Geiger des London Symphony Orchestra, nach der Uraufführung Wynton Marsalis’ Violinkonzert. „Ich denke, es ist eine große Ergänzung zum Repertoire der Violinkonzerte. Ich bin sicher, es wird den Test der Zeit überstehen.“ Große Worte. Auch in der Version des Philadelphia Orchestra ist Wynton Marsalis’ Violinkonzert ein packendes Werk, das die euro-amerikanische Tradition mit der afro-amerikanischen verbindet.
Marsalis (*1961) zählt als Leiter eigener Jazzformationen und des Jazz At Lincoln Center Orchestra sowie der Jazzabteilung am Lincoln Center zu den bedeutendsten Jazzmusikern der Gegenwart. Bereits seit den 1990ern beschäftigen ihn die Klänge der Symphonieorchester. Nachdem er in den etwa einstündigen Werken Blues Symphony, Swing Symphony und Jungle den Klang von Bigband und Orchester verschmolzen hatte, verzichtet er im Violinkonzert völlig auf die Jazzmusiker. Um dem Werk gerecht zu werden, ließ sich die schottische Geigerin Nicola Benedetti – bar jeglicher Jazzerfahrungen – die Übersetzung der traditionell notierten Noten in bluesorientierte Glissandi, Dehnungen und das Spiel mit ethnischen Rhythmen erklären. Mit Erfolg. Ihr Spiel bringt die Kulturkreise zusammen.
Der erste, „Rhapsody“ überschriebene Konzertsatz wandelt sich vom romantischen Traum zur bedrohlichen Klangkulisse mit stampfenden Kontrabässen und einer spitz, scharf und klagend gegen die bedrohliche Stimmung ankämpfenden Geige, die schließlich grandios über einem Schmuseorchester schwebend alles Böse vergessen lässt. Im „Rondo Burlesque“ tanzen die Geigentöne mit immenser Farbenpracht über kraftvollen Orchestereinwürfen, bevor sie sich zu einem atemberaubenden Geigensolo mit Anklängen an Jazz, Mardi Gras, also die Musiktradition aus Marsalis’ Geburtsstadt New Orleans, auflösen. Der dritte Satz „Blues“ verwickelt die Geige in einen vom Flirt, Bezirzen und orgiastischer Vereinigung bis zum Katzenjammer reichenden Dialog mit dem Orchester. „Hootenanny“, eine emotionsgeladene Klangparty voll von ungestümen Orchestereinwürfen und Fiddle-Parforceritten, krönt das Konzert.
Mit dieser Komposition setzt Wynton Marsalis fort, was Igor Strawinsky, George Gershwin und Aaron Copland begonnen hatten: die Fusion von Kunst- und Volksmusik. Mit einem Unterschied: Marsalis kommt von der Jazzseite. Seine Komposition lässt die Tradition von Blues, Spiritual, afro-kubanischen Rhythmen und – ein wichtiger Hinweis auf eine weitere Wurzel der amerikanischen Musik – irischen Tänzen nicht nur ahnen. Sie ist von ihr durchdrungen.
In ihren ersten Gesprächen zur Zusammenarbeit hatte sich Nicola Benedetti von Marsalis nur ein Solostück gewünscht. Sie hat es erhalten. Die fünfsätzige Fiddle Dance Suite For Solo Violin ist mit Anspielungen auf die Jigs und Reels, Lullabys, Spirituals, Geigen- und Fiddletradition gespickt. Als virtuose Herausforderung könnten die Sätze im Zugabenrepertoire landen.
Werner Stiefele