Adès Thomas / Jean Sibelius
Violin Concerto “Concentric Paths” / Violin Concerto op. 47 / Three Humoresques opp. 87/89
Adès Thomas / Jean Sibelius
 	Die Gattung des Violinkonzerts scheint die Auf- und Abbrüche der emphatisch Neuen Musik gänzlich unbeschadet überstanden zu haben. Nach dem klangvoll-grandiosen Violinkonzert von Henri Dutilleux von 1985 ist eine Vielzahl gänzlich unterschiedlicher Werke entstanden, unter denen vielleicht diejenigen von Györgi Ligeti, Aribert Reimann, Heinz Holliger (ein Meisterwerk Brahmsschen Kalibers!), John Adams oder Jennifer Higdon hervorragen  nicht zuletzt durch das vorbildliche interpretatorische Engagement von Virtuosen wie Frank Peter Zimmermann, Hillary Hahn, Thomas Zehetmair oder Gidon Kremer.
 	Zu diesen Werken sollte unbedingt nun auch das 2005 entstandene Violinkonzert Concentric Paths von Thomas Adès gezählt werden, das in Augustin Hadelich seinen Meisterinterpreten gefunden hat. Er spielt es mit einer Selbstverständlichkeit, als handele es sich um das gängige Repertoire. Das ist bewundernswert, denn Adès gibt jedem der drei konzisen Sätze ein äußerst individuelles Klangbild, das nicht nur aus der sehr fantasievollen Instrumentation, sondern auch aus der reichen Differenzierung der Satztechnik, dem vollen Ausnutzen der solistischen Spielweisen, der eindringlichen Individualisierung der jeweiligen rhythmischen Faktur der Sätze erwächst. Sicherlich wartet dieses Konzert mit keinen neuen, innovativen Effekten auf, doch vermag es die eher traditionellen Spielweisen der Violine in einer Art zu aktualisieren, dass sie frisch und unverbraucht wirken. Dabei bleibt die musikalische Entwicklung auf konzentrischen Pfaden  sie umkreist also eine gleichsam gedachte Mitte  gänzlich überschau- und nachvollziehbar, wenn sie so deutlich, strukturiert, ja geradezu plastisch ausgespielt wird wie von Hadelich. Freilich wird er auch vom Royal Liverpool Philharmonic Orchestra unter Hannu Lintu äußerst aufmerksam begleitet.
 	Die Substanz des Orchesters aus Liverpool teilt sich auch gleich mit dem Beginn des Violinkonzerts von Sibelius mit. Der Ton der Tutti-Violinen, die mit Dämpfer im Pianissimo eine Klangfläche evozieren, von der sich die Solovioline gleichsam mit der Stimme eines Vorsängers abhebt, bleibt charaktervoll. Das ist kein undefinierbares Säuseln, sondern es entsteht gewissermaßen Klang. Und Lintu nutzt jede Gelegenheit, den Orchesterpart zu beleben, indem er Gegenstimmen akzentuieren lässt, welche die Musik insgesamt reicher und dichter wirken lassen, als man es gewohnt war. Da Hadelich seinen Solopart mit makelloser, beeindruckender Technik konzentriert-ausdrucksvoll gestaltet, lässt sich das Verhältnis von Solo und Orchester geradezu mit rhetorischen Kategorien beschreiben: Die Musiker duettieren, bekennen, halten inne, bestätigen, heben hervor, widersprechen sich, stimmen einander zu  das ist phänomenal!
 	Die drei Humoresken für Violine und Orchester repräsentieren mehr als bloß Zugaben. Sie machen mit einem vergnüglich, besinnlich, ja entspannt komponierenden Sibelius bekannt, wie er in dieser Art bislang noch kaum ins Bewusstsein gedrungen ist. Diese Einspielungen überzeugen demnach nicht nur durch bestechende musikalisch-spieltechnische Brillanz, sondern ebenso durch eine intelligente, stimulierende Programmwahl.
 	Giselher Schubert


            
            
            