Werke von Max Reger, Paul Hindemith, Alfred Pochon und Igor Strawinsky

Viola solo

Christian Euler (Viola)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Musikproduktion Dabringhaus und Grimm
erschienen in: das Orchester 11/2020 , Seite 71

Heute beziehen Musikfans ihre Musik zumeist über Streamingdienste und junge Leute besitzen häufig nicht einmal einen CD-Spieler. Die neue Einspielung von Christian Euler beweist, welche Vorzüge die inzwischen aus der Mode gekommene CD hat: Die Klangqualität, die das Label Dabringhaus und Grimm durch die hochwertige Aufzeichnung in natürlichem Raumklang erzielt, wird durch Streaming kaum erreicht und die Möglichkeit, sich über die Musik durch einen so profunden, Biografie und Zeitumstände einbeziehenden Text wie den von Elisabeth Deckers zu informieren, fehlt dort ebenso. Doch darüber hinaus ist diese Produktion auch musikalisch und künstlerisch ein bestens gelungenes Plädoyer für die gute alte CD; denn die Werke von Reger, Hindemith, Pochon und Strawinsky in Eulers Interpretation haben es verdient, nicht nur einmal gestreamt, sondern oft gehört zu werden.
Während im 19. Jahrhundert selten Kompositionen für Streichinstrumente solo Erfolg hatten – abgesehen von Virtuosenliteratur wie Paganinis Capricen –, wurde die Solosonate oder -suite als Abkehr vom am Orchestralen orientierten Klangideal des 19. Jahrhunderts und im Zuge der Wiederbelebung des Barocks zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder entdeckt. Für die Bratsche ergab sich dabei eine neue Aufgabe; denn nun war sie nicht mehr nur für „Klage“, „Dämonie“ und „Trauer“, wie es in der Instrumentationslehre von Berlioz-Strauss heißt, zuständig, sondern erhielt vergleichbar der Viola da Gamba im Barock die Aufgabe, einen weiten Tonbereich von der Tiefe bis in die Höhe abzudecken, wurde also vom Spezialinstrument für Melancholie zum Universalinstrument.
Christian Euler gelingt es zusammen mit der Aufnahmetechnik, hier einen „neuen“ Violaklang zu entwickeln, der klar, flexibel, ohne „Heiserkeit“, die ihm z. B. von Ligeti nachgesagt wird, und ohne klangliche Brüche die Tonregister von der Bass- bis zur Sopranregion darzustellen vermag. Dadurch erscheint die Bratsche sogar mehr als die Violine für diese Sololiteratur geeignet.
Euler befreit Regers Musik vom Ballast einer Interpretation im Geist des 19. Jahrhunderts, indem er jeden Ton, jede Figur, jeden Klang einzeln ernst nimmt, zum Sprechen bringt und in eine Gesamtdramaturgie einbaut. In den schnellen Sätzen, wie etwa im „Vivace“ der g-Moll-Suite, arbeitet er die tänzerischen Rhythmen pointiert heraus und setzt die melodischen Motive durch Artikulationspausen klar voneinander ab. In teuflisch schnellen Sätzen wie dem „Molto vivace“ dieser Suite gelingt es ihm trotz höchster Geschwindigkeit, die Noten unterschiedlich zu artikulieren und so eine lebendige Gestaltung zu erzielen. Hindemiths Sonate erklingt in seiner Interpretation fern von vordergründiger Motorik voller Expressivität. In Strawinskys Elegie intensiviert gerade die Klarheit seines Spiels die Eindringlichkeit der Trauer. Besser können Violaspiel und eine CD-Produktion nicht sein!
Franzpeter Messmer

1 thought on “Viola solo

Kommentare sind geschlossen.