Thomas Daniel Schlee

Viertes Streichquartett

op. 86, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 03/2021 , Seite 68

Vermutlich hat es nie zuvor im Musikleben so viele kontinuierlich auf Weltklasseniveau zusammen­spielende Streichquartettformatio­nen gegeben wie in den vergange­nen zwei Jahrzehnten. Die Kern­werke des Quartettrepertoires von Mozart, Schubert, Beethoven oder auch Schostakowitsch liegen fast dutzendweise in Referenzeinspie­lungen vor und sind in Kammer­konzerten immer wieder muster­gültig interpretiert zu erleben. Fast scheint es so, als sei gerade diese Formation der vier Streicher heute der Inbegriff der Kammermusik und die ideale Projektionsfläche für höchste Ensemble-Ambitionen.
So hatte auch Thomas Daniel Schlee, der österreichische Kompo­nist und Organist, der mit dem jetzt bei Bärenreiter erschienenen Streichquartett bereits sein viertes, um die Jahreswende 2014/15 ent­standenes Werk für diese Gattung vorlegte, ideale Voraussetzungen, als seine Komposition im Septem­ber 2015 bei den Musiktagen Mondsee vom Auryn Quartett aus der Taufe gehoben wurde; einer Quartettformation, die besonders für ihre musikantisch-zupackende Spielweise bekannt ist. Schlees Mu­sik, auf weite Strecken unverstellt und klar, mag für einen solch direk­ten Zugriff besonders offen sein. Hier sind eher robuste Konturen und ein direkter Klang als virtuoses Funkeln oder oberflächliche Effekte gefragt.
Das rund 22 Minuten lange vierte Streichquartett von Thomas Daniel Schlee ist formal nicht in einzelne Sätze untergliedert, weist aber dennoch klar voneinander zu unterscheidende Abschnitte auf, die in Tempo und Charakter kontrast­reich aneinandergefügt und mitei­nander verbunden sind. Der Blick in die Partitur vermittelt einen Ein­druck von Klarheit und Aufge­räumtheit – angefangen von der Harmonik über die geforderte Spieltechnik bis hin zum Ensemble­satz.
Schlee beginnt den einleitenden Largo-Abschnitt („breit strömend“) mit einem klaren Statement, einem C-Dur-Akkord im Forte des Tuttis der vier Streichinstrumente. Und genauso klar und durchsichtig und im gemessenen Tempo endet das vierte Streichquartett mit einem gut zweiminütigen Lamento, das allein von der Bratsche gespielt wird. Da mag ein wenig später Mahler an­klingen in diesem „Abschiedsge­sang“, doch ist das Werk als Ganzes kein ausuferndes musikalisches See­lengemälde.
Thomas Daniel Schlee gelingt mit ganz klassischen instrumenta­len Mitteln ein in seinen Strukturen gut ausbalanciertes, transparentes, musikantisches Streichquartett, das von der Interaktion der vier Strei­cher genauso lebt wie von ihrem kernigen, kontrastreichen Klang. Aufbau und Inhalt gehen in dieser Komposition eine schlüssige Ver­bindung ein, die kaum besser als bei einem Streichquartett aufgehoben sein könnte, das reaktionsschnell zwischen Ensembleklang und Kam­mer-Diskurs vermitteln kann.
Daniel Knödler