© Sarah Hähnle

Ute Grundmann

Vielfalt als Orchester-Aufgabe

André Uelner ist Agent für Diversitätsentwicklung bei der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz

Rubrik: Über die Schulter
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 18

„Wenn ein Orchester die Vielfalt der Gesellschaft, für die es spielt, nicht mehr widerspiegelt, wie relevant ist es dann noch für die Bevölkerung?“ Das ist nur eine von vielen Fragen, die sich André Uelner stellt, von Berufs wegen. Denn Vielfalt bedeutet viel mehr als die schlagzeilenträchtige Frage, wie viele und welche Rollen ­Frauen in TV-Produktionen spielen (dürfen). Es gilt, Alter, Geschlecht, Herkunft, sexuelle Orientierung, Religion, Ethnie zu beobachten und zu beachten – „das alles ist Diversität“.
Und weil die in der Kultur und damit auch für Orchester immer wichtiger wird, ist ein neuer Beruf entstanden: der Berater für ­Diversität; oder, wie er an der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz heißt, „Agent für Diversitätsentwicklung“. Das ist seit zweieinhalb Jahren André Uelner, der viel mehr im Blick haben muss als die Musikerinnen und Musiker seines Orchesters mit dessen 85 Planstellen. Neben den künstlerischen Stellen gehören zusätzlich zum Personal hinter der Bühne ebenso Dienstleister wie Marketingagenturen oder auch der Einlassdienst dazu, die sich diverser aufstellen sollen. Auf die Frage „muss das alles sein?“ antwortet er entschieden: „Ich denke, ja. Wir erleben einen sehr tiefgreifenden Wandel, fast Umbruch der Gesellschaft, der vor allem migrationsbedingt ist.“ Und der ist auch nötig, macht er ebenso klar: Bei sinkender Geburtenrate und 400000 fehlenden Fachkräften jährlich bringt Zuwanderung Abhilfe – und so wird und muss sich die Gesellschaft diversifizieren, auch in der Kultur.
Für Orchester kann das Fragen aufwerfen wie: „Ist es noch sinnvoll, beim Vorspiel den üblichen Kanon abzurufen?“, „Genügt es, gut Violine zu spielen, oder müssen wir uns perspektivisch auch gegenüber Instrumenten außereuropäischer Musik öffnen?“ Oder: „Ist künftig auch wieder die Fähigkeit zur Improvisation gefragt?“ Das alles beobachtet, analysiert und begleitet André Uelner, auch ganz praktisch: „Welche Arbeitsmöglichkeiten gibt es für Musiker, mit denen wir zusammenarbeiten, die jedoch nicht in unserem Stellenplan vorgesehen sind?“ Denn wer ohne Aufenthaltsberechtigung in Deutschland bleiben will, muss eine Arbeitsstelle vorweisen – da braucht es Unterstützung und Begleitung.
Die Arbeitsweisen im Kulturbetrieb seien lange gewachsen und funktionierten gut, so Uelner, müssten aber auch an den Wandel angepasst werden. „Und weil die Kollegen wenig Zeit dafür haben, lege ich den Finger drauf.“ Dies, um Antworten auf die Frage zu finden: „Wer macht welches Programm für welches Publikum in zehn oder 15 Jahren?“
Als ausgebildeter Sänger, mit Erfahrung in Theaterpädagogik, Musikvermittlung und im Kulturmanagement, sieht sich André Uelner gut gerüstet für seine auf vier Jahre befristete Aufgabe. Nur eines fällt ihm schwer: in einem Konzert den Berufsblick mal abzulegen. „Es passiert sehr selten, dass ich Musik einfach nur genießen kann.“

 

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