Peteris Vasks
Viatore/Distant Light/Voices
Stanko Madic (Violine), Münchner Rundfunkorchester, Ltg. Ivan Repušic΄
“Die meisten Menschen haben heute keinen Glauben, keine Liebe und keine Ideale mehr. Die geistige Dimension geht verloren. Ich will der Seele Nahrung geben. Das predige ich in meinen Werken“, so Pēteris Vasks. Wenn Komponisten über sich selbst reden, ist das ja nicht in jedem Fall erhellend, aber kein Satz kann die Musik Vasks besser beschreiben, als dieses Diktum über sich selbst. 1946 als Sohn eines Baptisten-Pfarrers in West-Lettland geboren, hat er die ganze Repression einer sowjetischen Kulturpolitik am eigenen Leib erlebt, bis hin zum Studienverbot. Qualvoll litt er an der Unterdrückung seiner baltischen Heimatkultur, doch seine Musik ist – um es mit seinen eigenen Worten zu sagen – „aus Schmerz geboren, mit Schmerz geboren“.
Vom minimalistischen Ansatz her reiht sich Vasks in die Linie anderer baltischer Komponisten wie Arvo Pärt oder Erkki-Sven Tüür ein. Wie viele seiner Generation ist auch er geprägt von der polnischen Avantgarde Pendereckis oder Lutosławskis, und doch bleibt seine Musik zu tiefst persönlich, trotz der Moll-Lastigkeit immer hoffnungsvoll. Vasks spricht unmittelbar an, wendet sich dem Hörer zu, drängt sich nie auf und wirkt nie belehrend.
Mit der Arvo Pärt gewidmeten und 2001 komponierten Streichersonate Viatore gelingt Ivan Repušic´ mit dem Münchner Rundfunkorchester ein gelungener Einstieg in diese Neueinspielung. Seine Wahl fiel indes nicht auf die originale Orchesterfassung, er entschied sich für die Reduktion auf elf Solostreicher von Sefan Vanselow. Doch die Reduktion dünnt nicht aus, sie unterstreicht die reiche Klangentwicklung und die Transparenz. Den Münchner Solisten gelingt der Drahtseilakt, zwischen Fläche und Linie mühelos hin und her zu changieren.
Im Violinkonzert Tala gaisma – Fernes Licht (1996/97) weiß Stanko Madic´, seit 2018 Konzertmeister in München, die flirrenden Vogelgezwitscherklänge in den Streicherteppich zu weben. Seine Cantilenen werden wahrhaft zu Liedern der Hoffnung, zum Zeichen des Lichts am Ende des Tunnels. Er verliert sich nicht in der Endlosigkeit der Harmoniefolgen, er strebt dem hoffnungsvollen Licht zu. Und das Orchester folgt gerne, wandlungsreich, agil und spielfreudig, und gibt, um es mit Vasks zu sagen, der Seele Nahrung. Stets hat Ivan Repušic´ am Pult den Überblick und führt Hörer und Musiker gleichermaßen zum Licht. In der 1. Sinfonie mit dem bezeichnenden Titel Balsis (dt. Stimmen) werden die Stimmen des Lebens, der Stille und des Gewissens (so die jeweiligen Titel der drei Sätze) hör- und spürbar. Repušic´ schafft eine immense Intensität und Dichte des Klangs, ohne ins Uferlose zu schweifen. Seelennahrung pur.
Die Aufnahmen zur CD entstanden Ende Juni 2020, zu einer Zeit des absoluten Lockdowns der Corona-Pandemie. Eingespielt mit Abstand, durch Glaswände getrennt und nicht zuletzt mit Maske: wahrhaft keine
optimalen Bedingungen. Und doch bleibt die kreative Kraft der Musik präsent, eine Kraft, die Hoffnung spendet.
Markus Roschinski