Werke von Edward Elgar, Benjamin Britten, Peter Warlock und Karl Jenkins

Very British

Metamorphosen Berlin, Ltg. Wolfgang Emanuel Schmidt

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Sony Classical
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 72

Reich ist der Fundus an Musik für Streichorchester, den Britannien für uns bereithält: Hubert Parry, Ralph Vaughan Williams, Gustav Holst – sie und viele andere Komponisten schufen prägnante Werke für diese Besetzung und kreierten darin eine spezifische Sonorität, die in ihrer Opulenz unverkennbar das Empire – und bisweilen auch dessen nahes Ende – anklingen lässt.
Edward Elgars Serenade op. 20 und Benjamin Brittens Simple Symphony dürften die populärsten Vertreter dieses Genres sein. In ihrem Schatten blüht indes so viel entdeckenswerte Musik, dass sich die Frage aufdrängt, warum die Ausführenden der vorliegenden Produktion nicht einen kleinen Schritt ins weniger Bekannte gewagt haben. Mussten es einmal mehr Elgar und Britten sein?
Dieser Stoßseufzer soll nicht übertönen, dass hier exzellent musiziert wird: Das 2010 gegründete Ensemble Metamorphosen Berlin – geleitet vom international renommierten Cellisten Wolfgang Emanuel Schmidt und, als Konzertmeisterin, seiner Frau Indira Koch – präsentiert Streichorchesterkultur at its best: Ein gleichermaßen voller wie transparenter Klang lässt Elgar und Britten in schönstem Licht erstrahlen, Elgars warme Farben kommen ebenso zur Geltung wie Brittens forsche Brillanz und Atta-cke. Vibrato – die streicherische Allzweckwaffe von anno dazumal – wird geschmackvoll und kalkuliert eingesetzt, es herrscht ein atmender Gestus, der bisweilen, etwa am Beginn der Elgar-Serenade, fast zu sehr zum Abtauchen mancher Phrasenenden führt. In den schnellen Sätzen pflegt man eine forsche Gangart, die manchen Partien ein wenig vom viktorianischen „Nobilmente“ nimmt. Indes wird man entschädigt durch ein traumhaft ruhevolles Larghetto, in dem so manche Uhr stehenzubleiben scheint.
Die beiden Hauptwerke werden ergänzt durch die Capriol Suite – Bearbeitungen elisabethanischer Tänze – des 1930 gestorbenen Peter Warlock sowie durch Palladio, eine zwischen Pseudo-Barock und loopender Eintönigkeit changierende Petitesse des Allrounders Karl Jenkins, die schon einmal als Werbespot für den umsatzstärksten Diamantenhändler der Welt diente.
„Very British“? Anyway: Die Metamorphosen Berlin bestechen hier wie dort durch knackige Präzision.
In neun Cello-Piècen – Adaptionen von Violinstücken, die der Spiritus Rector für sich und sein Ensemble angefertigt hat und hier als Ersteinspielungen präsentiert – ist Schmidt im ureigenen Metier unterwegs. Seinem Goffriller-Cello entlockt er wunderbar-elegische Töne und Linien, und in Stücken wie La Capricieuse kommt auch seine durch das große Solistenrepertoire gestählte, makellose Technik zur Geltung. Diese Elgar-Arrangements stellen eine erfreuliche Repertoire-Erweiterung dar, wobei freilich zu hoffen ist, dass Schmidt das Notenmaterial einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen wird. Ansonsten hält sich der Neuigkeitswert der Produktion leider in Grenzen, und eine reinigende Redaktion des Booklet-Textes hätte dem Unternehmen überdies gut zu Gesicht gestanden.
Gerhard Anders