Ekimovsky, Victor

Verse for the End of the Century

auf russische volkstümliche Texte des 19. Jahrhunderts, Komposition 84 (2001) für Sopran, Bassklarinette (in B) und Schlagzeug, Spielpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Belaieff, Mainz 2010
erschienen in: das Orchester 10/2012 , Seite 64

Der russische Komponist Victor Ekimovsky wurde 1947 in Moskau geboren und war Schüler von Aram Chatschaturjan. Neben seiner Komponistenlaufbahn hat er sich auch als Musikwissenschaftler einen Namen gemacht, außerdem ist er seit Langem Präsident der russischen Gesellschaft für Zeitgenössische Musik. Sein Œuvre umfasst neben einigen Orchesterwerken eine Vielzahl von kammermusikalischen Werken. Mit der menschlichen Stimme hat er sich bislang weniger auseinandergesetzt.
In seiner bereits 2001 entstandenen Komposition Verse for the End of the Century hat er volkstümliche russische Texte des 19. Jahrhunderts zusammengestellt, in denen das durch Hungersnot, Plagen und moralischen Niedergang hervorgerufene Ende der Welt beklagt wird, der Antichrist die Welt beherrscht und das Jüngste Gericht angekündigt wird.
Der Gesangspart, der im Original nur mit “Stimme” bezeichnet wird, hat einen notierten Tonumfang von h-g” und wird einem Sopran zugeschrieben, könnte aber wirkungsvoller von einem Mezzosopran interpretiert werden. Ekimovsky legt bei der Vertonung des Prosatextes sehr großen Wert auf die Textverständlichkeit und vermittelt den Textgehalt ohne wesentliche Erweiterung der traditionellen Gesangstechnik und Aufhebung des Sprachflusses. Textinhalte, die zur Tonmalerei ermuntern, werden genutzt, indem beispielsweise das Beben der Erde durch abfallende Sept­sprünge verdeutlicht wird. Deklamatorisch gestaltete aufsteigende Ton-
repetitionen steigern die Aussage, deren dramatischer Höhepunkt in dem wiederholten Ruf “Hinfort!” des die Menschheit verfluchenden Richters besteht.
Der Bassklarinettenpart, der in wechselnden Schlüsseln notiert ist, korrespondiert eng mit dem Gesangspart, indem er Motive vorwegnimmt, den Gestus der Melodiebewegung übernimmt oder den Ausdruck verstärkt. Eigenständigkeit erhält er in einer improvisatorischen Phase der Vertonung, die den Richterspruch reflektiert. Hier werden nur ungefähre Tonhöhen mit allerdings rhythmisch präziser Vorgabe notiert. Zur Bassklarinette tritt bei der Improvisation erstmals das Schlagzeug in dominanter Rolle hinzu und erzeugt durch markante Schläge auf der großen Trommel beklemmende Gefühle. Der Schlagzeugpart, der sich klanglich auf verschiedene Fellinstrumente, Becken und Tamtam beschränkt, hat sonst
nur sparsame Akzente gesetzt.
Die überwiegend metrisch frei notierte, neunminütige Komposition stellt an Interpreten, die mit zeitgenössischer Musik vertraut sind, keine besonderen Ansprüche. Sie überzeugt durch ihre Unmittelbarkeit und die klug kalkulierte Verwendung der kompositorischen Mittel. Die Partitur gibt die sehr gut lesbare Handschrift des Komponisten wieder. Der russische Originaltext wird mit Aussprachehinweisen und zusätzlich durch eine Lautschrift wiedergegeben.
Heribert Haase