Frauke Adrians
Vernetzen, fortbilden, stärken
Die neue Plattform DYMENT® will Musiker in Verbindung bringen
Herbst 2021: Die vierte Corona-Welle baut sich auf. Es zeichnet sich ab, dass Musiker und andere Kreative ihr Publikum über längere Zeit wieder nur eingeschränkt oder gar nicht erreichen können – und dass auch die Kontaktaufnahme und -pflege untereinander leidet. Konzerte werden ersatzlos gestrichen, sofern sie nicht unter 3G- oder 2G-Regelung stattfinden können. Oder sie wandern, wie schon 2020, ins Internet: Musiker beginnen wieder, Kammermusik aus dem heimischen Wohnzimmer zu streamen.
Aber manche möchten die konzertarme Corona-Zeit auch anders nutzen: Sie wollen sich vernetzen und fortbilden für die Zeit nach Corona. Den Wunsch nach Wissensvermittlung entwickelte auch die Musikerin und Kulturmanagerin Anca Unertl, und zwar im ganz normalen Musikerinnen-Alltag, schon vor den unerquicklichen Corona-Leerlauf-Phasen. „Als Musikpädagogin und -vermittlerin bin ich immer wieder an meine eigenen Grenzen gestoßen“, beschreibt sie. „Kreative Berufe basieren auf Output. Aber wo bleibt der Input?“ Konkrete Fragen ergaben sich in ihrem professionellen Umfeld, zum Beispiel: Wen frage ich, wenn ich als Musikerin und Musikvermittlerin von Bekannten gebeten werde, ein Festival zu organisieren? Oder wenn ich den Bau einer Orgel begleiten soll? „Learning by doing ist mir in so einem Fall nicht genug“, so Unertl. „Außerdem: Muss denn jeder immer die gleichen Fehler machen wie alle anderen, um seinen Weg zu finden? Und ich weiß ja, dass es unter den Kulturschaffenden viele gibt, die sich mit solchen Aufgaben auskennen, die ihr Wissen gerne weitergeben und die ich um Rat fragen könnte. Nur, wo finde ich die?“
Über Jahre entwickelte sie die Idee einer Wissensbörse im Internet, einer digitalen Plattform, auf der Profimusikerinnen und -musiker, aber auch zielstrebige Amateure Ansprechpartner, Erfahrungen und Fachwissen finden können. Nicht nur informelle Tipps, sondern auch Weiterbildungsangebote sollten dort zu entdecken sein. Inzwischen hat Anca Unertl ihre Pläne in die Tat umgesetzt: Ihre Plattform DYMENT® – kurz für „The Dynamic Movement of the Arts“ – ist im November 2021 an den Start gegangen.
Von Anfang an haben Dozenten, Musiker, Intendanten dort Info- und Fortbildungsangebote eingestellt, vom einfachen Vermitteln praktischer Tipps bis hin zum kostenpflichtigen Kurs. Zu den ersten Weiterbildungs-Anbietern bei DYMENT® gehören Beat Fehlmann, Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, der Regisseur und Mediator Moritz von Rappard, Susanne Leuthner, Leiterin der auf klassische Musik spezialisierten Versicherung Sinfonima, und der Posaunist und Musikvermittler Albert Landertinger. Ihre Themen reichen von Teamarbeit und Audience Development über Wirkungsmessung und Kreativitätsschulung bis hin zu praktischen Fragen der Musikinstrumenten-Versicherung.
„Unser Spektrum soll auch jenseits der gängigen Themen liegen“, wünscht sich Unertl. Nicht der tausendste Kurs zu autogenem Training schwebt der DYMENT®-Gründerin vor, sondern eher Themen, über die man sich, wie sie findet, im Alltag viel zu selten Gedanken macht. „Etwa die Frage: Wie wirkt meine Stimme? Und wie kann ich meine Stimme so entwickeln, dass ich, etwa als Moderatorin oder bei Interviews, besser ankomme; dass die Leute mir zuhören?“ Ein Thema, das gerade für Frauen wichtig sei, denn deren Stimmen würden häufig noch immer eher als schwer verständlich oder unangenehm empfunden im Vergleich zu den meist tieferen, stärkeren Männerstimmen.
Kooperationspartnerin von DYMENT® ist die Karlshochschule International University in Karlsruhe. Aus dem Hochschul-Biotop erhofft sich Initiatorin Anca Unertl innovative Ideen und kreativen Input. Letzterer soll natürlich auch von den Orchestern, Theatern und anderen Kulturinstitutionen kommen. „Der Slogan von DYMENT® heißt: von Machern für Macher“, so Unertl. „Wissen, das bei Orchestermusikern schon vorhanden ist, wird in den Kreislauf gegeben und findet andere Nutzer. Der Zugang ist niederschwellig, man kann sich austauschen und sieht, der oder die sitzt auch in einem Orchester und kann mir weiterhelfen.“ Wer etwa über seinen Hauptjob am dritten Geigenpult hi-
naus kammermusikalisch oder als Musikmanagerin aktiv werden wolle, könne dereinst dank DYMENT® Kollegen mit Erfahrungen und Fachwissen auf diesen Gebieten finden. Wer deren Expertise nutze, könne Zeit, Nerven und Kraft sparen, die dann in das neue Projekt statt in mehr oder minder fruchtlose Fehlversuche fließen könnten.
Unter dem Menüpunkt „Inspiration“ finden alle, die auf der DYMENT®-Seite stöbern, Podcasts, Buch- und Zeitschriftentipps. Die Rubrik „Netzwerk“ wartet noch darauf, gefüllt zu werden: Hier sind die Nutzer selbst gefragt, sich einzubringen. „Im Schutzraum Orchester braucht man Spielräume, damit Freiräume des Einzelnen sich entwickeln können“, beschreibt Unertl. Demgemäß will sie ihr Start-up mittel- und längerfristig nicht bloß als Tipp- und Fortbildungsbörse weiterentwickeln: DYMENT® soll auch eine Inspirationsquelle für Musiker und andere Kreative sein und helfen, den Blick zu weiten und auch mal einen Perspektivwechsel zu wagen.
Dritte Säule sollen „virtuelle Stammtische“ sein, die sich – so hofft Anca Unertl – im Laufe dieses Jahres entwickeln werden. „Dort können Musiker untereinander, aber auch mit Experten und Dozenten Ideen entwickeln und sich austauschen.“ Dieser Bereich von DYMENT® soll für alle Interessenten ganz einfach und kostenlos zugänglich bleiben. Auch damit alle – gerade in diesen für Künstler äußerst schwierigen Corona-Zeiten – hier einen virtuellen Treffpunkt finden können. „Corona hat die intrinsische Motivation bei vielen stark absinken lassen“, so Unertl. „Bei DYMENT® können wir uns gegenseitig motivieren. Austausch hilft, Fortbildung hilft: Bleib dran!“
Wie sich ihre Neugründung entwickelt – darauf ist Anca Unertl selbst gespannt. „DYMENT® ist ein Angebot, eine Einladung. Wir wollen niemanden bekehren, aber wir wollen eine Dynamik entwickeln und begleiten.“
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