Jacobshagen, Arnold (Hg.)
Verdi & Wagner
Kulturen der Oper
Das Buch lässt schon in seinem Untertitel die Problematik des Vor-
habens erkennen: Kulturen der Oper der Plural lässt eher Unterschiede denn Gemeinsamkeiten in Wesen, Werk und Wirkung der beiden Künstler erwarten. Albert Gier weist in seiner umfangreich belegten Studie Mythos und Kolportage Verdi, Wagner und die (Welt-)Literatur nach, dass die Antipoden verbunden sind durch ihre literarischen Fixpunkte: die Griechen, Shakespeare, auch Dante. Dabei ist diese karge Erkenntnis weniger ergiebig als der Weg zu ihr. Martin Fischer-Dieskau charakterisiert die beiden Komponisten als Dirigenten wider Willen? und hebt Wagners Verdienst um eine wegweisende Definition des Dirigierens als nachschöpferischen, interpretativen Akt hervor, während Verdi im Banne der italienischen Musizierpraxis den Geist der Tonschöpfung unangetastet ließ.
In seinem lesenswerten Beitrag Verdi, Wagner und die Politik greift Michael Walter ein dankbares Thema auf. Für den gut erforschten Bayreuther ist hier nicht mehr viel zu entdecken, aber im Blick auf Verdi bietet Walter doch interessante Erkenntnisse, die auf eine Entmythologisierung von Verdis meist übertrieben gedeutetem Patriotismus zielen. So wurde etwa die politische Zündkraft von Verdis Chören weithin überschätzt, und selbst die Wirkung des berüchtigten Gefangenenchors aus Nabucco sei in der patriotisch gefärbten Biografik überbetont worden.
Jean-François Candoni untersucht die je verschiedene Beziehung der Jubilare zur Grand Opéra und bekräftigt im Blick auf die politische Bedeutung der Opern von Verdi, dieser sei nicht der Chorführer des italienischen Risorgimento gewesen. Johannes Schild erörtert mit musikwissenschaftlicher Gründlichkeit die heitere Spätblüte der Komponisten am Beispiel von Meistersingern und Falstaff, und Wolfram Breuer analysiert detailliert Zeitabläufe und ,musikalische Zeit bei Verdi und Wagner.
Fragen der Rezeption widmet sich etwa Arnold Jacobshagens Aufsatz Konstanten und Konjunkturen, der die (deutsche) Deutungstradition, Verdis Spätwerk durch die Bayreuther Brille zu sehen, kritisch betrachtet, die Aufführungszahlen der Komponisten in Deutschland vergleicht und Traditionen der Verdi- bzw. Wagner-Inszenierungen seit dem Zweiten Weltkrieg würdigt. Rainer Nonnenmann spürt mit einer Fülle von Beispielen der Aufnahme Wagners und Verdis in der neuen Musik nach, und Jürgen Maehder weist in Wagner-Forschung versus Verdi-Forschung auf den unterschiedlichen Entwicklungsstand dieser Teildisziplinen hin.
Zum Thema Interpretation analysiert Thomas Seedorf auf der Basis historischer Zeugnisse die Stimmfächer von Heldentenor und Tenoredi forza, während Jens Malte Fischer unter dem Titel Wie Verdisänger Wagner singen und Wagnersänger Verdi singen einen anschaulichen (obschon nicht hörbaren) Abriss der einschlägigen Gesangsgeschichte im 20. Jahrhundert bietet. Mit einem knappen, selektiven Überblick zu Verdi und Wagner auf dem Theater von Clemens Risi beschließt der sehr materialreiche Band den problematischen Versuch, die beiden Komponisten im Doppelporträt doch zu einer Art gemeinsamer Würdigung zusammenzuführen.
Rüdiger Krohn