Leopold, Silke / Mertens, Volker / Maschka, Robert

Verdi: La Traviata / Wagner: Der Ring des Nibelungen / Wagner: Tristan und Isolde

Reihe Opernführer kompakt

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter/Henschel, Kassel/Leipzig 2013,
erschienen in: das Orchester 07-08/2013 , Seite 66

Waren sie wirklich so unterschiedlich? Richard Wagner und Giuseppe Verdi haben vielleicht doch mehr Gemeinsamkeiten, als man auf den ersten Blick annehmen sollte. Verdi gelangen wohl die realistischeren Frauenrollen. 3sat bezeichnete La Traviata in einer Fernsehreihe über die beliebtesten Opern gar als schönste Oper aller Zeiten. Silke Leopold zeichnet als durchaus einfühlsame Autorin die Stärken von Verdi als Komponist nach und beschreibt detailliert, wie intensiv er für die „Traviata“ Violetta Valéry Partei ergriff, die von der Gesellschaft ihrer Zeit kein Verständnis erwarten konnte. Die rigide Doppelmoral wird hier in fast schon satirischer Weise aufs Korn genommen: Die Kurtisane wird zwar als Gespielin, nicht aber als Frau an der Seite eines sogenannten „Ehrenmannes“ geduldet. Zahlreiche Farbfotos und Notenbeispiele runden dieses positive Bild dieses Opernführers ab. Eine originelle Idee ist es auch, die einzelnen Figuren dieser Oper in Steckbriefen zu beschreiben.
Noch kompakter und umfangreicher ist der Band über Richard Wagners Tetralogie Der Ring des Nibelungen. Auch hier stechen zahlreiche Notenbeispiele ins Auge. Insgesamt erfolgt die Darstellung mit größerer Präzision. Sehr schön und anschaulich ist beispielsweise das Personengefüge der einzelnen Teile dargestellt, sodass auch der interessierte Laie einen umfangreichen Einblick in das Geschehen erhält. Das Ring-Orchester wird in diesem Band komplett aufgeführt, und man erfährt, dass der „Feuerzauber“ in der Walküre geigerisch absichtlich nahezu unausführbar gehalten sei. Deshalb dürfte Volker Mertens’ Untersuchung gerade auch für Orchestermusiker besonders interessant sein. Abwechslungsreich sind die Interviews mit der Brünnhilde Evelyn Herlitzius, dem Dirigenten Christian Thielemann oder dem Regisseur Nikolaus Lehnhoff. Richard Wagner bleibt als Person hier immer greifbar.
Besonders interessant ist außerdem Tristan und Isolde von Robert Maschka. Breiten Raum nimmt die Rezeptionsgeschichte auf Schallplatte und CD ein. Selbst der Autor Mark Twain kommt zu Wort, der sich be-
lustigt über die exaltierten Bayreuther Publikumsreaktionen aus dem Jahr 1891 äußerte: Viele Leute hätten die ganze Nacht hindurch geweint und konnten nicht schlafen. Ein wichtiges Kapitel dieses Bands: „Die Auswirkungen des Tristan auf Wagners weiteres Schaffen“. Hier betritt der Autor Robert Maschka Neuland: Im Parsifal ziehe Wagner die letzte Konsequenz aus der Tristan-Tragödie. „Auch hier ist der Eros ein in Leiden führendes Unglück“, heißt es. Man vermisst zuweilen noch eine deutlichere Analyse der Tristan-Rezeption der damaligen Zeit. Gut ist allerdings, dass Wagners Erschrecken vor dem eigenen Werk Erwähnung findet: „Kind! Dieser Tristan wird was furchtbares!…“ Dadurch bekommt man einen psychologisch interessanten Einblick in die damalige Gefühlslage des Meisters. Auch Friedrich Nietzsche wagt hier im Jahr 1876 einen Blick auf den Komponisten durch die Tristan-Brille. Dass der schwierige Komplex „Wagner und das Dritte Reich“ weitgehend ausgeklammert wird, schadet diesen Opernführern nicht. Im Gegenteil: Man kann sich Richard Wagner auch ganz ohne Ideologie nähern.
Alexander Walther