Schon, Heiko
Verachtet mir die Meister nicht
Das Handwerk auf der Opernbühne
Vor lauter Liebestoden und Zauberträumen, Heldenmut und Frauenweh, wie sie in der Oper von jeher besungen wurden, gerät rasch in Vergessenheit, dass auch die ganz triviale Arbeitswelt immer wieder Eingang gefunden hat in die entrückten Bezirke des gesungenen Dramas. Der vorliegende Band über das Handwerk auf der Opernbühne legt ausführliches Zeugnis ab von wackeren, gerne betont realistischen, manchmal auch dämonischen Vertretern unterschiedlichster Berufe. Der Autor ist ein gründlich informierter Opernkenner mit einem offenbar schier unerschöpflichen Zettelkasten, in dem sich eine imponierende Fülle selbst entlegener Beispiele versammelt findet.
Natürlich, der Schuhmacher bei Wagner, der Barbier bei Mozart und Rossini, der Zimmermann bei Lortzing oder der Besenbinder bei Humperdinck sie alle sind geläufige Beispiele dafür, dass Handwerker als mal derbe, mal gewitzte Vertreter des Volkes im Opernrepertoire nicht selten gewichtige Rollen spielen. Aber dieses Buch bleibt bei der Aufzählung und Vorstellung solcher und ähnlich prominenter Fachleute nicht stehen, sondern greift tief in die Kisten und Archive des Repertoires und fördert Dutzende kaum und gar nicht mehr bekannter Müller, Böttcher, Schmiede, Glaser, Hutmacher und Fleischer zu Tage vielleicht nicht immer so geballt wie in Wagners Meistersingern, aber doch immer wieder in den Nischen des Opernpersonals und dort als dramaturgische Stützfiguren oder zur Kolorierung des Geschehens unentbehrlich.
Zu den nach einzelnen Gewerken (wie Nahrung, Textil, Holz, Metall) gegliederten Porträts solcher Berufsgruppen im Repertoire, deren bedeutendere Repräsentanten in ihrem Wesen und ihren Funktionen für das Handlungsgeschehen knapp skizziert werden, treten immer auch ergänzende Listen von Werktiteln, in denen einschlägige Rollen zumindest genannt sind. Für den speziell Interessierten tun sich hier reiche Fundgruben auf, die zum Stöbern einladen. Allerdings verweigert der überaus informative Band gerade hier seine Hilfe: Ein allemal wünschenswertes Literaturverzeichnis zur weiteren Lektüre fehlt. Das ist bedauerlich und mindert den Gebrauchswert des Buchs, nicht aber dessen Unterhaltungswert.
Die einzelnen Kapitel und Beschreibungen verbinden souveräne Kennerschaft des Autors mit seiner Begabung für pointierte Darstellung selbst bei weniger komischen Sachverhalten. Bisweilen weitet sich dieses Talent dann ein wenig aufdringlich zur allzu flapsigen Allüre, bei der Gegenstand und Ton einander nicht recht entsprechen. Andererseits erhöhen beiläufige Anekdoten und scharfzüngige Seitenhiebe auf allerlei Regie-Unarten (etwa auf Hans Neuenfels), kuriose Auswüchse des Betriebs (wie die Bayreuther Siegfried-Wurst) oder PR-Legenden wie die von Anna Netrebkos gerne kolportierten Galeerenjahren als Putzfrau im St. Petersburger Mariinski-Theater die amüsante Lesbarkeit des Buchs.
Rüdiger Krohn