Willem Bruls
Venedig und die Oper
Auf den Spuren von Vivaldi, Verdi und Wagner
Zu Recht zitiert der Operndramaturg Willem Bruls am Beginn seines Buches Goethe, der in seiner Italienischen Reise schreibt: „Architektur ist gefrorene Musik.“ Derselbe Gedanke veranlasste Friedrich Nietzsche wohl in Ecce homo zu der Bemerkung: „Wenn ich ein anderes Wort für Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig.“ Die Architektur der Serenissima ist Musik und bezeugt tatsächlich Musikgeschichte.
Bruls konzentriert sich in seinem von Bärbel Jänicke übersetzten Buch, das 2018 erstmals in Amsterdam erschien, auf die Oper in Venedig, „die um 1600 begann und um 1800 endete“. Monteverdi hatte mit seinem Orfeo die Oper in Mantua erfunden. Doch erst während seiner venezianischen Jahre habe er das Genre zur Reife geführt: mit seinem Il ritorno d’Ulisse in patria und seiner L’incoronazione di Poppea. „Diese Werke gaben dem, was die Oper eigentlich werden sollte, definitiv die Richtung. Nirgendwo anders als in Venedig hätte sich das ereignen können.“
In 20 Kapiteln beschreibt Bruls das vielleicht faszinierendste, weil kreativste opernhistorische Kapitel der Opernproduktionen der Stadt, das bei Monteverdi beginne und „Ende des 18. Jahrhunderts mit den Napoleonischen Kriegen“ ende. Danach folge nur noch „langsames Dahinsiechen“ – eine Meinung, die man nicht unbedingt teilen muss: Man denke nur an das Opernleben der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert mit seinen vielen bedeutenden Uraufführungen im Teatro La Fenice; an Rossini, Bellini, Donizetti, Marcadante, Strawinsky, Ermanno Wolf-Ferrari und nicht zuletzt an die erste italienische Aufführung von Wagners Ring.
In seinen Spaziergängen durch vier Jahrhunderte Operngeschichte nimmt der Autor den Leser mit an jene Orte, an „denen Komponisten wohnten und arbeiteten, an denen sich Theater befanden und noch befinden, an denen wichtige Akteure der Musikkultur inspiriert wurden“. Monteverdi, Händel und Vivaldi stehen im Mittelpunkt der Operngeschichte der Stadt.
Doch der Autor lässt seinen Blick über den Tellerrand schweifen. Rossini, Verdi und Wagner werden als Beispiele einer magischen Kultur des Untergangs berücksichtigt. Luigi Nono wird im Zusammenhang mit der „Stille der Stadt“ gewürdigt. „Zügellosigkeit und Glücksspiel im Ridotto“ macht er an Casanova und Mozart fest. Betrachtungen über die Caféhäuser Venedigs, legendäre Hotels wie das „Danieli“ an der Riva di Schiavoni oder das „Des Bains“ auf dem Lido (den nicht zuletzt Thomas Mann mit seinem Tod in Venedig verewigte) runden sein Panorama von der Geburt (der Oper) bis zum Sterben (Richard Wagners) und darüber hinaus ab. In Venedig spiele sich nicht nur viel Operngeschichte ab, ganz „Venedig ist Oper“.
Diesem Gesamtkunstwerk hat Bruls mit seinem reich bebilderten Buch ein Denkmal gesetzt. Ein Stadtplan mit den markierten, erwähnten Orten ist beigefügt. Ein nützliches Personenregister, Quellenangaben und Vorschläge von Spaziergängen nach Kapiteln geordnet geben dem animierenden Buch auch praktischen Wert.
Dieter David Scholz