Summer, Mark

Variations

Lo, How a Rose E’er Blooming für Violoncello solo, revidierte Fassung

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ponticello Edition, Mainz 2010
erschienen in: das Orchester 03/2011 , Seite 65

Musik, die auf Improvisation beruht, auf Notenpapier zu bringen, ist erst mal paradox. Das sollte man nicht vergessen, wenn man die neue Ponticello-Publikation Mark Summers und womöglich Cello und Bogen zur Hand nimmt. Vor diesem Hintergrund muten die teils sehr genauen Spielanweisungen und Fingersätze in den Variationen über Lo, How A Rose E’er Blooming (Es ist ein Ros entsprungen) zunächst befremdlich an. Schnell wird aber klar, wie klug und cellofreundlich sie sind. Mark Summer ist auf dem Instrument zu Hause, für das er schreibt, das merkt man deutlich. Die Herausforderung besteht also darin, das Gleichgewicht zu finden zwischen dem Einhalten der Notenschrift einerseits und dem Einbringen individueller Ideen andererseits, um der improvisatorischen Grundidee nicht zu fern zu kommen.
Das ist eine mögliche Herangehensweise, die sinnvoll erscheint vor dem Hintergrund dessen, dass Summer seine niedergeschriebenen Stücke mehr als Ideen begreift, die erst im Moment des Spielens und somit auch in der improvisatorischen Variation konkret werden. Schließlich gibt es von Lo, How A Rose E’er Blooming bereits eine Einspielung des Komponisten, auf dem Album By The Fireside des Turtle Island String Quartets, die von der neu erschienenen Notenfassung abweicht.
Das Thema dieser Variationen selbst, bekannt sonst als in gemächlichem Tempo am Heiligabend in der Kirche gesungenes Gemeindelied, wird bei Summer mit Quint- und Sextdoppelgriffen und reichlichen rhythmisch ausbrechenden Verzierungen vorgetragen. Eine poppig-jazzige, breit ausgespielte Variation über das Original also schon die Vorlage, über der sich daraufhin die Variationslust Summers ausbreitet. In dieser weicht der Komponist passagenweise stark vom Ausgangsthema ab und lässt zum Beispiel spielerischen, fließenden Achtelläufen viel Raum sich zu entfalten. Die so genannten Variationen entwickeln hier eine Eigendynamik, die Es ist ein Ros entsprungen nur noch als Idee im Hinterkopf erscheinen lassen. Und doch finden sich auch hier immer wieder subtile Anleihen an die Ursprungsidee – metrische Figuren, Motive aus den Begleitgriffen etc.
Bei den vielen unterschiedlichen Spielweisen, die Summer im Zuge dieser teilweise sehr freien Variationen anwendet, wundert einen die wachsende Popularität seiner Stücke (vor allem bei jungen Cellisten) nicht – mit ausgedehnten Pizzicatopassagen in diversen Zupfarten (Daumen, Hammer-Ons, Linke Hand), Doppel- und Akkordgriffen, reichlich Flageolett und barock anmutende Achtelläufe ist für Spielfreude gesorgt. Und dabei handelt es sich eben nicht nur um Griffbrettzauber. An musikalischer Raffinesse fehlt es den Variationen nicht, wenn auch diese im Bereich Pop verhaften bleibt. Musikphilosophische Diskurse werden mit diesem Stück nicht neu angestoßen, aber das ist Summers Ziel sicherlich auch nicht gewesen.
Als Bedenken bleibt die ewige Debatte über den schöpferischen Wert von Variationen. Doch was dem Konzept an schöpferischem Wert fehlt, ist der Cellist hier aufgefordert selbst improvisatorisch einzubringen.
Vera Salm