Brad Mehldau

Variations On A Melancholy Theme

Orpheus Chamber Orchestra

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Nonesuch
erschienen in: das Orchester 12/2021 , Seite 81

Es hat fast ein Jahrzehnt gedauert, bis Brad Mehldaus Komposition Variations On A Melancholy Theme den Weg vom Konzertsaal auf eine CD gefunden hat. 2012 und 2013 hatte es der Amerikaner bereits mit dem Orpheus Chamber Orchestra in amerikanischen und europäischen Konzertsälen präsentiert. Aufgezeichnet wurde das 34-minütige Werk wohl bei einem dieser Auftritte – der CD-Hülle und dem Booklet sowie den Homepages von Pianist und Orchester sind keine konkreten Angaben zu entnehmen.
Wie dem auch sei: Es lohnt sich, das Werk anzuhören, zumal es in keine der gängigen Schubladen passt. Mehldau schreibt weder experimentelle zeitgenössische Musik noch verharrt er in einer klar definierten Traditionslinie. Stattdessen lässt er sich – eigentlich wie die postmodernen Künstler der 1980er Jahre – von vielem inspirieren, was irgendwann aktuell war, und gestaltet daraus ein kohärentes, auf diesen Einflüssen aufgebautes Werk.
Die ersten Takte irritieren. Befinden wir uns im Übungsraum einer lange nicht renovierten Ballettschule? Der Walzer, den Brad Mehldau auf dem Flügel anklingen lässt, erinnert an das filmmusikalische Abbild solcher Räume, wobei Holzbläser und Streicher den morbid-nostalgischen Charakter nach wenigen Takten verstärken. In der Variation 1 fächern der Pianist und das Orchester das Thema auf, bringen einen Hauch von Gershwin, bevor in der Variation 2 Woodblock-Pferdehufe und eine hoch jubilierende Geige ein Wechselbad aus Idylle, dunklen Wolken und dem Windeswehen von Streichern bilden. Doch keine Bange, kein Pferd galoppiert im Fünfvierteltakt, und so können Variation 5 und das unbegleitete Piano in Variation 6 vergnügt in Wiesen mit Schmetterlingen, Insekten, Blüten sowie heiteren und dunklen Aufwallungen führen – Richard Strauss und Béla Bartók lassen grüßen.
Etwas tragischer wirkt die Variation 7 für Orchester, findet aber zu einem versöhnlichen Schluss. Daran knüpft ein Wechselspiel von Flügel und Orchester kühl an, plustert das Geschehen ein wenig auf, reagiert elegisch auf Trommeln, wie sie im Western die Vorbereitung einer Militärkolonne auf ihren Einsatz kommentieren, wobei Mehldau das Getümmel einer Schlacht vermeidet und stattdessen in Variation 9 zu einem einsamen Dialog von Flöte, Streichern, Klavier und Celesta findet. Eine ähnlich zarte Atmosphäre bestimmt auch die Variation 10, während die Variation 11 mit einem Walzer etwas Bewegung und dezentes Bluesfeeling ins Spiel bringt.
Nahtlos fügt sich als Cadenza ein Klaviersolo an, das in ein sechsminütiges Postlude für Klavier und Orchester übergeht: ein buntes Stimmungsbild mit Anklängen an Richard Wagner und Richard Strauss, Béla Bartók und Hollywoods Filmkomponisten. Mit dem virtuosen Encore Variations „X“ und „Y“ holt sich Brad Mehldau schließlich den berechtigten Applaus des (ansonsten nicht zu hörenden) Publikums ab. Wer so abwechslungsreich und farbenprächtig für ein Kammerorchester komponiert, der könnte auch exzellente Filmmusik schreiben.