Samuel Coleridge-Taylor

Variations in B minor for violoncello and piano

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Musica Mundana, Ernen
erschienen in: das Orchester 4/2025 , Seite 69

Recht hat er! Im Vorwort der vorliegenden Edition weist Herausgeber Jakob Spahn – Solo-Cellist an der Bayerischen Staatsoper und Professor in Nürnberg – darauf hin, dass Konzertprogramme der vergangenen Jahre erfreulicherweise nicht mehr nur musikgeschichtliche „Heldenverehrung“ betreiben, sondern sich zunehmend weniger bekannten Komponist:innen der Vergangenheit öffnen. Wir fügen hinzu: Es darf gern noch mehr davon sein!
Samuel Coleridge-Taylor (1875-1912) war der Sohn eines aus Sierra Leone stammenden Arztes und einer Engländerin. Wiewohl ausschließlich im „weißen“ England sozialisiert – seinen Vater hat er nie kennengelernt –, empfand Coleridge-Taylor eine starke Affinität zu seinen afrikanischen Wurzeln. Hiervon zeugen Werke wie die African Romances oder 24 Negro Melodies. Über Letztere schrieb der Komponist: „What Brahms has done for the Hungarian folk music, Dvořák for the Bohemian, and Grieg for the Norwegian, I have tried to do for these Negro Melodies.“
Coleridge-Taylors Begabung erfuhr frühe Förderung: Am Londoner Royal College studierte er Violine und Komposition (bei Charles Villiers Stanford), später wirkte er selbst als Geigen- und Kompositionslehrer an diesem Institut. Sein größter Erfolg war die 1898 komponierte Kantate Hiawatha’s Wedding Feast. Ihr Text thematisiert das Schicksal eines Indianers, der im 16. Jahrhundert gelebt hat. Die Popularität des Werks in England wurde zeitweise nur noch von Händels Messias und Mendelssohns Elias übertroffen. Mehrere Konzertreisen führten Coleridge-Taylor in die USA, dort betrachteten ihn zumal Afroamerikaner als Leitfigur.
Ungeachtet seiner Hinwendung zu außereuropäischen Kulturen blieb Coleridge-Taylor in seiner musikalischen Idiomatik ein Kind Europas. Das hier aufgelegte Werk (dessen Originalmanuskript verschollen ist) spricht die Sprache Brahms’ und Dvořáks, die Coleridge-Taylor elegant adaptiert. Es handelt sich um eine Folge von Charaktervariationen über ein lyrisch-melancholisches h-Moll-Thema. Übergeordnet erscheint eine viersätzige Gesamtform (schnell-schnell-langsam-schnell), die nach der Präsentation des Themas (alias: Introduktion) beginnt. In den schnellen Teilen erscheint die Motivik des Themas in unterschiedlichen Farbnuancen, ihre Grundsubstanz wird jedoch kaum modifiziert. Nur der langsame Satz dreht die „melodischen Verhältnisse“ um, die Verknüpfung seines Eingangsgedankens mit dem Hauptthema erfolgt in erster Linie über rhythmische Verwandtschaft.
Die technischen Anforderungen beider Parts sind für geübte Kammermusiker gut zu bewältigen. Man tut dem charmanten Werk nicht unrecht, wenn man es als feine Salon-Kammermusik klassifiziert. Keine Sensation, aber allemal eine freundliche Begegnung.
Gerhard Anders