Fišer, Luboš

Variationen über ein unbekanntes Thema

für Streichquartett, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Prag 2013
erschienen in: das Orchester 04/2014 , Seite 70

Deutschen Eishockey-Fans dürfte die Weltmeisterschaft 1959 – trotz oder wegen des beschämenden 8:0-Kantersiegs der BRD- über die DDR-Mannschaft im Spiel um die Plätze in Kladno – inzwischen aus dem Gedächtnis geschwunden sein. Mitnichten gilt das für die Tschechen. Deren Team hatte in der Vorrunde zuerst die Schweiz 9:0 aus dem Weg geräumt, danach mit 13:1 Polen deklassiert und schlug am 15. März vor über 13000 enthusiasmierten Zuschauern den Favoriten Kanada, der schließlich durch ein besseres Torverhältnis den Titel holte.
In der Euphorie des Sieges, so ist es dem Einführungstext der Prager Bärenreiter-Ausgabe zu entnehmen, wetteten die drei Studienfreunde Luboš Fišer, Jirí Kalach und der spätere langjährige Primarius des Talich Quartetts, Petr Messiereur, „dass sie ein Konzertstück für Violine und Orchester mit dem Arbeitstitel ,Canada-Rondo‘ komponieren würden, und dachten sich ein Thema aus. Aus dem scherzhaften Vorhaben wurde nichts, doch Fišer erinnerte sich an das Thema, als er [1976] das Stück für das Talich Quartett schrieb.“ 1978 führte das Talich Quartett die Variationen über ein unbekanntes Thema im Prager Haus der Künstler auf und spielte das Werklein, dessen acht Abschnitte insgesamt gerade 127 Takte umfassen, später noch einige Male, u.a. in Paris und Freiburg.
Luboš Fišer (1935-1999) mag heutigen (deutschen) Musikern nichts mehr sagen. In der Tschechoslowakei hatte er sich indes in den 1970er Jahren einen Namen gemacht, vor allem durch das massenweise Komponieren von Filmmusik, etwa auch für den surrealistischen Kultfilm Valerie a týden divu nach einer Novelle von Vítezslav Nezval. Obwohl ihm der Beitritt zum Verband tschechischer Komponisten und Konzertkünstler aufgrund seiner „beunruhigenden“ Kompositionen bis 1979 verwehrt blieb, erfuhr er gesellschaftliche Anerkennung und konnte gar mit einem Stipendium des American Wind Symphony Orchestra nach Pittsburgh reisen.
Der Autor der Werkeinführung spekuliert, hier könne Fišer auf die Minimal Music aufmerksam geworden sein. Tatsächlich sind die Variationen sehr repetitiv; einige wenige Figuren und Takte werden Dutzende Male wiederholt, die Stimmen dabei – nach der Vorstellung des Themas durch die erste Geige – allmählich zum vollen Satz aufgefüllt. Für mich
haben die Variationen allerdings einen ganz und gar weltlichen Charakter, als reduziert oder abstrahiert empfinde ich diese Musik nicht. Eher mag der Komponist pragmatisch an die Nutzung einzelner Gedanken für verschiedene Filmszenen unabhängig von deren Dauer gedacht haben. Eine Allegro-Variation etwa beginnt mit Bordun-Anklängen im Cello, die Bratsche macht kleine Tanzschritte dazu, diesmal baut sich der Satz von unten auf, bis wir uns in eine ländlich-gutmütige Dorfszenerie versetzt sehen (eine damalige Rezension spricht von Brueghels Bauerntanz).
Nicht auszuschließen also, dass der Komponist Passagen aus dem Werk später auch wieder in Filmmusik goss; dem wäre einmal nachzugehen.
Martin Morgenstern