Jean Sibelius

Valse triste op. 44 Nr. 1

Urtext, hg. von Timo Virtanen, Partitur

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel
erschienen in: das Orchester 05/2022 , Seite 65

Jean Sibelius gilt als der finnische Komponist par excellence. Er hat sich weder einer künstlerischen Mode verschrieben noch suchte er den Weg radikaler Experimente. Stattdessen fand er zu einem solitären Stil, der ihn zu einem der bedeutendsten Symphoniker des 20. Jahrhunderts werden ließ. Auf Anregung seines Lehrers und Mentors Ferruccio Busoni hielt er sich zu Studien in Berlin und Wien auf, wo er seine Kenntnisse in Kontrapunkt und Harmonielehre vertiefte und die anregende musikalisch-kulturelle Vielfalt zweier Weltstädte genoss.
Die Kompositionen, die Sibelius nach seiner Rückkehr nach Helsinki schrieb, spiegeln seine literarische Auseinandersetzung mit der Welt der Mythologie Finnlands. Um 1900 wurde man auch in europäischen Musikzentren auf Sibelius aufmerksam, als das finnische Nationalorchester mit seinen Werken gastierte und er in Arturo Toscanini einen Fürsprecher seiner Kunst fand. Abseits von der Betriebsamkeit bezog Sibelius 1904 ein Landhaus in der Nähe Helsinkis, das er nur noch zu einigen Konzertreisen verließ und in dem er bis zu seinem Tod wohnte. Sibelius führte hier nur scheinbar das Leben eines Eremiten, denn er stand in regem Gedankenaustausch mit Künstlern aus aller Welt.
Sein meisterlicher Umgang mit den Farbwerten eines Orchesters und sein Klangsinn zeigen sich auch im Valse triste. Dieses als op. 44 veröffentlichte Werk ist seine 1904 zur Konzertversion umgearbeitete Musik, die er zu dem Schauspiel Kuolema (Tod) seines Schwagers Arvid Järnefelt komponierte. Der Walzer verharrt nicht nur in düsterer Melancholie, sondern wird zum Totentanz. Die Szene des Schauspiels zeigt eine Mutter, die sich schlafwandelnd von ihrem Sterbelager erhebt und sich mit geisterhaften Tanzpaaren im Rhythmus einer entfernten Musik bewegt, bis auf dem Höhepunkt des Tanzes der Tod erscheint.
Der Valse triste entspricht mit den hohlen Klängen der Streicher mit Dämpfern der alptraumhaft-gespenstischen Szenerie der literarischen Vorlage. Sibelius schrieb dazu 1905 an Breitkopf & Härtel: „Wie ich den Herrn Fazer [dem Verleger] schon gesagt habe, eignet sich die ,Kuolema-Musik‘ außer
,Valse triste‘ – gar nicht für d. Conzertsaal. Die ist nur für die Bühne.“ Er sollte Recht behalten, Valse triste wurde zu einem vielgespielten Werk.
Die nun vorliegende Partitur samt Aufführungsmaterial beruht auf dem Band 22 der Sibelius-Gesamtausgabe, die von Breitkopf & Härtel seit 1998 gemeinsam mit der finnischen Nationalbibliothek und der finnischen Sibelius-Gesellschaft herausgeben wird. In seinem Vorwort schildert der Herausgeber Timo Virtanen die Quellenlage. Anmerkungen dazu und zur Textgestaltung finden sich im Anhang, dem Kritischen Bericht. Die wichtigsten Informationen zu den Quellen sind in den Bemerkungen auch im Vorwort der vorliegenden Edition dokumentiert.
Wie auch die anderen Urtextausgaben der Reihe ist die Ausgabe gut lesbar, editorisch auf dem allerbesten Stand und somit für den Konzertgebrauch gut geeignet.
Gernot Wojnarowicz