Giuseppe Verdi

Un Giorno di Regno

Gocha Abuladze (Bariton), Davide Fersini (Bariton), Valda Wilson (Sopran) und andere, Cappella Aquileia, Czech Philharmonic Choir Brno, Ltg. Marcus Bosch

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Coviello
erschienen in: das Orchester 11/2018 , Seite 73

Die Aufführungsserie dieser Liveaufnahme der Opernfestspiele Heidenheim 2017 zeigte die Verwechslungskomödie um den nicht auftretenden polnischen König Stanisław Leszczyński anno 1733 in einer Pizzeria Ende der 1970er Jahre und konnte dort mit vielen Italo-Klischees aufwarten. Dazu begleitete die Cappella Aquileia Verdis erste komische Oper äußerst kultiviert. Mehr „al dente“ als „arrabiato“.
Festivalchef Marcus Bosch entwickelt mit den Streichern seidige Buffa-Geschmeidigkeit und eine donizetti-artige Eleganz, die man in einer Verdi-Partitur vor Nabucco kaum für möglich hält. Im Widerspruch zu diesem orchestralen Fein­schliff stehen allerdings die dramaturgische Schroffheit im Libretto Felice Romanis und die teils von Verdi selbst ersonnenen, teils der Uraufführungsbesetzung an der Mailänder Scala 1840 geschuldeten Fakturen der Vokalpartien. Dieser Eindruck verstärkt sich, weil für heutige Hörer die Tessitura der beiden Frauenpartien Giulietta de Kelbar (Valda Wilson) und Marchesa del Poggio (Elisabeth Jansson) weder ganz zur hohen Sopranlage noch zum Kernfokus eines Mezzos gehören. Der Tenorpart Edoardo (Giuseppe Talamo) ist nicht mehr der „tenore di grazia“ italienisch-französischer Prägung und hat noch nicht das syllabische Gepräge typischer Verdi-Partien bis etwa 1855. Angestrebte Leichtigkeit und die kompakte Faktur der oft rumpfartig knappen Musiknummern lassen sich nur schwer vereinen. Es liegt gewiss nicht am Vokalensemble um den als Cavaliere Belfiore meisterhaft anführenden Bariton Gocha Abuladze, aber die Krise der Opera buffa um 1840 schwappt auch in diese Einspielung.
Dieses Opus offenbart eine im Gesamtschaffen Verdis sonst kaum feststellbare Verunsicherung. Die Schwierigkeiten mit dieser Partitur bestätigen sich im Vergleich mit Lamberto Gardellis Studioaufnahme aus den 1970er Jahren. Dessen Annäherung aus der Kenntnisperspektive von Verdis späterer Entwicklung war ein sicherer, wichtiger, allerdings auch unverbindlicher Weg. Exemplarisch entfachte vor allem Donato Renzetti am Teatro Regio di Parma ein Feuerwerk, das Verdis Noten mit allen Fertigkeiten der früheren Opera buffa und rasanter Verve aufladen konnte – ein Glücksfall.
Marcus Bosch und die Cappella Aquileia erproben vorsätzlich eine dritte Möglichkeit, nämlich die der durchlüfteten und das Ensemble umschmeichelnden Wiedergabe. Das führt zu sehr schönen, allerdings auch auf der Stelle tretenden Momenten, die den dramatischen Drive etwas abfedern. Wenn sich die Solisten zu den Ensemble-Höhepunkten zusammenfinden, wird die Ursache immer deutlicher: Die Sänger stellen sich zu sehr in den Dienst der musikalischen Leitung, machen nur ganz zaghaft berechtigte und vom Dirigenten vielleicht sogar insgeheim erhoffte Führungsansprüche geltend. Dafür nutzt der Tschechische Philharmonische Chor Brünn alle von Verdi gewährten Wirkungsmöglichkeiten. Die Seite mit der Besetzung ist im Booklet gut versteckt.
Roland H. Dippel