Nikolaus Harnoncourt/Alice Harnoncourt

Über Musik

Mozart und die Werkzeuge des Affen

Rubrik: Buch
Verlag/Label: Residenz
erschienen in: das Orchester 07-08/2020 , Seite 63

Monteverdi und Mozart, Klangrede und Aufführungspraxis und Musik, generell Kunst als Gegenpol zu einer von materialistischem Streben geprägten Gesellschaft – das waren die Themen, die Nikolaus Harnoncourt zeit seines künstlerischen Lebens bewegt haben. Und er hat diese Themen in Schriften und Reden und natürlich vor allem in seinen Konzerten und Schallplatteneinspielungen ins Zentrum der Diskussion „bewegt“. Dabei durfte es bei dem 2016 verstorbenen österreichischen Musiker und Schriftsteller gerne handfest und vor allem kontrovers zugehen. Wie meinungsstark der Cellist, Dirigent, Schriftsteller und Lehrer Harnoncourt sein Leben lang war, vermittelt ein jetzt von seiner Ehefrau und musikalischen Mitstreiterin Alice Harnoncourt herausgegebener kleiner Band mit Schriften aus sechs Jahrzehnten. Darin finden sich ein paar bisher unveröffentlichte Aufsätze, einige Reden, Gebrauchstexte für Plattenfirmen und einige Wiederveröffentlichungen, die auf kleinem Raum Harnoncourts Gedankenwelt und Perspektiven nachzeichnen: Seine Kritik am Museumshaften des heutigen Konzertlebens, seine zentrale These, dass Musik nur im Kontext ihrer Zeit wirklich verstanden werden kann, und der von ihm geprägte Begriff der Klangrede in der Barockmusik. Diese Barockmusik zwischen Monteverdi und Händel war Nikolaus Harnoncourts künstlerisches Hauptspielfeld, das er auf Basis der historischen Aufführungspraxis (aber auch in der Zusammenarbeit mit traditionellen Orchestern) mehr und mehr in Richtung Mozart erweiterte. Das Spiel auf alten Instrumenten – das wird in vielen Abschnitten des vorliegenden Bandes noch einmal deutlich – sah Harnoncourt nie als Selbstzweck oder vermeintliche Simulation eines verlorengegangenen Kunstverständnisses an. Historische Aufführungspraxis war für ihn nur ein Mosaikstein im Verstehen kultureller Zusammenhänge, von Lebensumständen und gesellschaftlichen Normen. Über solch eine Gesamtschau, zu der neben dem Musizieren eben immer auch das Schreiben, Reden und Unterrichten gehörte, ermöglichte Nikolaus Harnoncourt eine ungemein lebendige Begegnung mit „seinem“ Mozart, mit einer von Monteverdi her dramatisch aufgerollten Barockmusik und später mit der Strauß-Familie und vielen Werken aus dem romantischen Repertoire, die unter Harnoncourts Stab allzu viel flächigen Vibratos beraubt auf einmal viel sprechender klangen. Alice Harnoncourt ist mit der vorliegenden persönlichen Auswahl von Texten sicher gelungen, den immer originellen und dabei ganz charmanten Provokateur Nikolaus Harnoncourt noch einmal pointiert zu Wort kommen zu lassen. Vergessen aber wird der Revolutionär und Wegbereiter sowieso nicht.
Daniel Knödler