Avishai Cohen

Two Roses

Gothenburg Symphony Orchestra, Ltg. Alexander Hanson

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naïve M7425
erschienen in: das Orchester 11/2021 , Seite 82

Um der Vielseitigkeit des Kontrabasses auf die Spur zu kommen, braucht es Musiker mit einem klaren Verständnis dieser Bandbreite an Möglichkeiten. Avishai Cohen meistert diese Aufgabe mit Bravour. Seine klangschönen Erkundungen bilden ein vielgestaltiges Mosaik aus jüdischen, europäischen und amerikanischen Traditionen.
Cohen wuchs in Israel auf, lebte lange Zeit in den USA, arbeitet seit vielen Jahren in Europa und lebt heute wieder in Israel. Als Elfjähriger spielte er Klavier, wechselte später über den Fretless-E-Bass zum Jazz-Bass. Neben seiner Arbeit als Bassist ist er als Sänger, Bandleader, Komponist und Arrangeur tätig. So variantenreich die Rollen und Genres sind, in die er schlüpft, so zahlreich sind auch die stilistischen Faktoren, die er zusammenbringt. Musikalische Kulturen verschmelzen, Trennlinien sind schwerlich zu erkennen. Vertrautes und Fremdes werden behutsam miteinander verwoben. Die farbenreiche Harmonik des Impressionismus wird z. B. mit den charakteristischen Rhythmusfiguren der arabischen Musik, jazzigen Off-Beat-Rhythmen oder der Geschmeidigkeit modaler Melodien verknüpft.
Das empathische Bindeglied ist Cohens vitales und authentisches Spiel. Seine individualistische Herangehensweise tritt auf der CD-Produktion Two Roses offen zu Tage. Hier stellt der israelische Bassist ein interkulturelles Repertoire zusammen. Zwei bekannte Jazzmusiker, der aserbaidschanische Pianist Elchin Shirinov und der Perkussionist Mark Guiliana aus New Jersey, sowie die Göteborger Symphoniker unter der Leitung von Alexander Hanson begleiten ihn bei diesem Experiment. Cohen geht neue Pfade, denn die Musiziergemeinschaft aus Sinfonieorchester und Jazztrio ist bisher eine Seltenheit.
Mit zwölf Instrumental- und Liedinterpretationen stellt er sich als Komponist, Solist und Triomusiker vor. Aus dieser Mischung instrumentaler und vokaler Elemente kreiert er eine kraftvolle und ausdrucksstarke Koalition der kulturellen Verschiedenheiten. Seinen Wurzeln bleibt Cohen immer treu. Schon der Titel Two Roses ist die Übersetzung einer gleichnamigen Komposition, die auf dem hebräischen Lied Shnei Shoshanim beruht. Verschiedene Melodieverläufe nimmt Cohen erst im Scat auf und wechselt dann zum Sprechgesang in Hebräisch, Ladino, Spanisch oder Englisch über. Zuweilen bleibt der Solo-Bass beinahe introvertiert im Hintergrund, doch nach und nach zeichnet sich eine dynamisch geschwungene Bass-Linie ab, die nach einem Höhepunkt in die farbenreiche Palette des Orchesters hinabgleitet.
Manche Passagen sind üppig instrumentiert, tragen spätromantische Züge und erinnern an die amerikanischen Filmklassiker der 1950er Jahre. Hier spiegelt sich einmal mehr Cohens aufgeschlossene Geisteshaltung. Bereits für mehrere französische Filmproduktionen schrieb er die Musik. Sein multiperspektivischer Ansatz kann mit einem „kritischen Ohr“ gehört werden, doch wer sich auf die kreativen Kombinationen aus akustischem Jazz, klassischer Musik und sephardischer Folklore einlässt, kann neuartige Klänge entdecken! Ein Booklet wäre eine schöne Beigabe gewesen.
Juliane E. Bally