Schaarwächter, Jürgen
Two Centuries of British Symphonism. From the beginnings to 1945
Vol 1 und 2
Ist Großbritannien eine Musiknation? In Zeiten des Pop und Rock dürfte daran keiner mehr zweifeln. Dem Anschein nach war das aber nicht immer so. Es gab zwar seit jeher ein reiches Musikleben, aber die meiste Musik war Importartikel. Die Sinfoniker hätten sich wohl zu sehr an den Schulen anderer Länder orientiert, als dass man von einem eigenständigen britischen Stil vor 1900 sprechen könnte. Offenbar führte das britische Understatement dazu, dass die einheimischen Komponisten noch bis weit ins 20. Jahrhundert ihre eigenen Schöpfungen eher wenig goutierten. Gegen Ende des zweiten Bandes zitiert Jürgen Schaarwächter Colin Wilson, der noch 1964 recht bitter bemerkte: England is a strange country, whose custom is to ignore its men of genius for a as long as possible.
Doch diese Überlegungen müssen als typische Vorurteile ad acta gelegt werden, wenn man liest, wieviel sinfonische Musik auf der Insel entstand. Über etliche der in den Bänden von Jürgen Schaarwächter nun verzeichneten Werke und Komponisten findet man selbst im Grove Dictionary nicht mehr als dürre Notizen. In chronologischer Reihenfolge listet Schaarwächter nun Komponist um Komponist, Sinfonie um Sinfonie auf und ordnet diese Werke mit Analysen von stilistischen Einflüssen in einen musikgeschichtlichen Zusammenhang ein. Zahlreiche Notenbespiele und Illustrationen ergänzen die Artikel zu den einzelnen Komponisten, und auch die biografischen Porträts sind umfangreicher, als man sie in den Lexika findet.
Der überaus nützliche Anhang von über 200 Seiten verzeichnet die Komponisten und Werke noch einmal gesondert dieses Mal alphabetisch. Hier sind auch die Fundstellen und Quellen und vor allem Verweise auf die noch vorhandenen Aufführungsmaterialen sehr nützlich. Die Verweise auf die Orte der Uraufführungen geben zudem einen interessanten Einblick in das britische Musikleben. Besetzungsangeben sind ebenso mit aufgeführt wie die Texte der Sinfonien, die einen vokalen Anteil haben. Die Bibliografie nennt mit ihren 125 Seiten vermutlich alles, was man zu dem Thema der britischen Sinfonik derzeit lesen kann und je lesen konnte.
Man staunt, sobald man die zwei Bände aufschlägt, über die Menge der Daten und Fakten. Two Centuries of British Symphonism wird die einschlägigen Lexika ergänzen und all jene Programm-Planer oder CD-Produzenten erfreuen, die auf der Suche nach unentdecktem musikalischen Material sind. Es ist ein gewichtiges Werk, das Jürgen Schaarwächter da vorgelegt hat. Schon in seiner Dissertation hatte er sich mit der britischen Sinfonie von 1914 bis 1945 befasst. Mit dem nun vorliegenden zweibändigen Werk ist dem Autor auf Anhieb das Standardwerk zu dem Thema gelungen.
Gernot Wojnarowicz