Olivier Messiaen

Turangalîla-Symphonie

Tamara Stefanovich (Klavier), Thomas Bloch (Ondes Martenot), Nationaltheater-Orchester Mannheim, Ltg. Alexander Soddy

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics
erschienen in: das Orchester 03/2021 , Seite 74

Beharrlich hält ein Klavier ein ganzes Orchester auf Trab. Mal drängt es quirlig und aufbrausend nach vorn, mal schmeichelt es zart, beinah un­bemerkt, im Hintergrund. Über Besetzung und charakterliche Zuordnung der Instrumente lässt sich in Olivier Messiaens 1949 uraufgeführter Turan­galîla-Symphonie viel mutmaßen. So viel steht fest: Dieser Orchestersound hat mit Bewegung, Lebenskraft und Liebe zu tun. Das jedenfalls ist die Be­deutung des Sanskritworts „Turangalîla“, auf das Messiaen mit seinem zehnsätzigen Musikstück eine Tondichtung schuf.
Er lieferte damit viel Stoff für die musikalische Mystik des 20. Jahrhun­derts: eine sphärische Flucht gebildeter Schichten der westlichen Welt, die Schrecken der Gegenwart mit Weltkriegen, Holocaust und atomarer Be­drohung besser zu ertragen. Die Rolle des Klaviers liest sich in diesem Zu­sammenhang wie ein versöhnlicher Abgesang. Als intellektuelles Leitin­strument des Bürgertums im Jahrhundert zuvor hat es zwar noch viel zu sagen, für ein Klavierkonzert reicht es allerdings nicht aus. Stattdessen mi­schen sich neue Sounds dazu mit den Ondes Martenot, diesem Tasten- und Drahtinstrument, das als Vorfahre der elektronischen Musik gilt.
In einem klaren, präzisen Klangbild hat die Musikalische Akademie des Nationaltheater-Orchesters Mannheim e.V. die Turangalîla-Symphonie im November 2019 live auf CD eingespielt. Eine rundum gelungene Produkti­on, die für das Orchester vor allem als Zeichen der großartigen Repertoire-Erweiterung unter Generalmusikdirektor Alexander Soddy zu sehen ist.
Soddy hält den monumentalen Klangapparat hervorragend zusammen. Insbesondere Passagen mit der für das Werk so typischen feinfühligen, kribbeligen Rhythmik wie etwa im Finale kommen großartig zur Geltung. In vielen verschiedenen Klangfarben beweisen Streicher und Bläser volltö­nend die ganze Schönheit von „Dissonanzen“ und nicht aufgelösten Ka­denzen. Messiaens Komposition ist freilich über derartige tonale Bewertun­gen in Schief und Gerade oder in Gut und Böse erhaben.
Mit Tamara Stefanovich am Klavier haben die Mannheimer eine ausge­zeichnete Pianistin für diesen Part gewinnen können. „Dieses Stückmons­ter ist 80 Minuten lang, verwöhnt mit Schönheit und ist für das Klavier mental und physisch anstrengend, einer der Mount Everests“, schreibt Ste­fanovich in Facebook über Turangalîla. Die Gratwanderung zwischen solis­tischem Vortreten und orchestralem-sich-Einfügen meistert sie bestens.
Thomas Bloch ist international ein gefragter Spezialist für die eher sel­tenen Instrumente wie Glasharmonika, Waterphone oder Cristal Baschet. Er lehrt seit 1992 Ondes Martenot am Conservatoire National Strasbourg. Bei der Turangalîla-Symphonie bringt er die Glissandi bestimmt, aber ein­fühlsam ins Gesamtgeschehen ein. Der faszinierende, irisierende Klang ist wie ein akustisches Angebot, ins Überirdische abzuheben. Da ist es gut, dass einen der Schlussapplaus am Ende der CD wieder gut erdet. Ein tolles Konzertdokument!
Sven Scherz-Schade